The Purpose  of   HEALING - K.I.S.S.

- as stated 12 years ago - was and is

  to help me and my potential P E E R s 

"to HEAL ourselves into WHOLEness,

and - by extension - all of CREATion!"
Intro to Healing-K.i.s.s. 2001-2013
and Overview of its main libraries


[If you look for a word on this page,
click ctrl/F and put a word in "find"]


I focus my experiencing and awareness on being
"a   pioneer of  Evolution  in  learning  to  feel":
I let my Body vibrate and my Heart 'womb'

pain, shame, fear, boredom, powerlessness,
so feelings can >heal >guide>fulfill
>evolve,
and ~~~ offer ~~~"goldmines"~~~ to us all!!
"I want you to feel everything, every little thing!"

 

 

Back to the Overview of all sculptures in the fourfold library of "InteGRATion into GRATeFULLness"

 

InteGRATion into GRATeFULLness
Close-ups of my Past

Franz Rosenzweig
One who helped me live

2007_04_29: Closeup of 1987_01_06

A kind of Preface to this page on 2009_12_13; updated on 2011_06_18
My feeling now,
after I reread and copied what is most important for me in the Letters to Gritli,
and mainly after the many hours on this Shabbat,
during which I completed this second stage of my endeavor to understand,
[as to the first stage, see the pages in K.i.s.s.-log 2008, from August 4 to 14]
why it was Franz Rosenzweig, who became my - dead - father-in-love
and who is the source of my living in Israel and of my tribe of 16 souls!



It's not the Star of Redemption, which inspired my living and thinking,
nor all his essays or most of his commented hymns of Yehuda Halevi,
it is the way he taught me to understand and apply the Hebrew Bible,

and it is his futuristic effort to live the WE,
for which I myself have yearned all my life.

He attempted to live it
with his cousins Hans and Rudi Ehrenberg and his friend Eugen Rosenstock,
and he tried the outrageous, the unheard of, living-loving in a circle of Five.


It was not until I read the Gritli letters
- not available to me as long as my mother-in-law was alive and not until Reinhold Mayer edited them as a book-
that I began to see who my father-in-love really was and what he really lived and felt.
Yes, what he felt!
In that capacity he was and still is a pioneer: the capacity to feel.
The fact, that he finally did not let his feelings guide him,
but denied himself, yes raped himself ,
is due to his time:
the information, which I was granted ever since 1977 was not available then.
And thinking about the consequences of his violent denial of himself,
(and I'm not talking about what this did to his wife and to his lover and friends,
for they were responsible for their own dramas)

his abysmal suffering, both in soul and in body,
I do not find an expression for my deepest feeling of compassion.

I now feel, as if YOU, my father-in-love , are talking to me and saying:

"When I prophesied,
that people would understand me only 50-100 years after my death,
I did not really understand, what it was that I had given to the World.
I now see, that I have prepared the path for YOU, my daughter-in-love!"

 

Franz Rosenzweig
One who helped me live
[see a different view on Rosenzweig - in English - further down]


Since I happened to work in Berlin as a guest lecturer,
when Franz Rosenzweig would have become 100 years old,
on December 26, 1986,
I was asked to write an article for a Berlin Newspaper.


From an exposition in Giv'at Haviva, Israel

 

Einer, der mir leben half
Zum 100. Geburtstag von Franz Rosenzweig

Berliner Sonntagsblatt 4. Januar 1987/Nr. 1, Seite 6
Der grosse juedische Dialogtheologe Franz Rosenzweig,
enger Mitarbeiter von Martin Buber,
waere am 25. Dezember 1986 hundert Jahre alt geworden.
Seine Schwiegertochter, Rachel Bat-Adam,
nimmt zur Zeit Lehrauftraege an der Kirchlichen Hochschule Berlin und am Institut fuer katechetischen Dienst wahr.
Im folgenden berichtet sie ueber Franz Rosenzweigs Persoenlichkeit und Werk.


Franz Rosenzweig at the age of 19



Reinhold Mayer in an old Jewish cemetery
with the German-Jewish Student-Group DIS
which he founded at the University of Tuebingen
exactly a week after that awakening
concerning Jews, Judaism, Holocaust, Israel,
which he catalyzed in me.
It was in this talk,
that I first came in contact with Franz Rosenzweig
.

Sommersemester 1960 in Berlin,
Kirchliche Hochschule,
Seminar ueber "Synagoge und Kirche'.
Prof. Gollwitzer:
"Wer haelt ein Referat
ueber die drei grossen juedisch-deutschen Denker
Martin Buber, Leo Baeck, Franz Rosenzweig?"

Die Studenten blicken irgendwohin.
Keiner meldet sich.
Meine Tage sind schon zu voll, denke ich,
habe schon drei Referate uebernommen,
dazu Deutsch-Israelische Studiengruppe,
Russisch,
Ost-West-Friedensarbeit.

Meine Hand hebt sich dennoch:
"Ueber Rosenzweig allein, ohne die beiden andern, bin ich bereit!"
Der Professor kommt mir entgegen.
Er bittet mich zu sich nach Hause.

"Hier haben Sie die Buecher Franz Rosenzweigs;
sie sind ja alle vergriffen!"
"Ich habe trotzdem alle seine Buecher",

sage ich bescheiden und stolz
und erzaehle von Reinhold Mayer in Tuebingen.

Im Januar 1959 war ich zu ihm gelaufen,
empoert ueber seine Anmerkung zu einem Satz in meiner Proseminararbeit:
"Wenn Sie Juden kennen wuerden, wuerden Sie so nicht schreiben!"

In christlicher Ueberheblichkeit hatte ich behauptet:
"Bis hierher kam der Jude auch!"
Auch dass ich die antisemitische Mystifizierung
"der Jude"
fuer Jesu Volksgenossen benutzt hatte,
war mir nicht aufgefallen.

Am Ende des nun folgenden Gespraechs,
das mein Leben wandelte,
fragte Mayer:
"Haben Sie schon einmal etwas von Franz Rosenzweig gehoert?
Seine Briefe gehoeren zu dem Besten, was es an Weltliteratur gibt."

 

In Antiquariaten fand ich
"Stern der Erloesung",
"Zweistromland",
"Briefe"
.

Erst spaeter, Ende 1960 in Jerusalem,
schenkte mir Franz Rosenzweigs juengste Schwaegerin, Ilse Strauss, auch den
"Jehuda Halevi",
dieses Schatzkaestlein an Weisheit.

Mit den systematischen Schriften konnte ich wenig anfangen.
Dagegen kam mir in den Briefen volles, klares, reifes Leben entgegen.
Ich war ein schwerlebiger junger Mensch,
und da war es gut,
immer mal wieder drei vier Seiten in Franz Rosenzweigs Briefen zu lesen.
Damit konnt ich wieder eine Weile leben.

Im Wintersemester 1959/60 hatte ich
an der theologischen Fakultaet in Bethel
eine Deutsch-Israelische Studiengruppe gegruendet.
In den ersten Wochen
– naemlich vor den ersten Hakenkreuzschmiererein an der Koelner Synagoge an Weihnachten 1959,
woraufhin unsere Gruppe sehr aktiv und sehr angefeindet wurde, -
arbeiteten wir ganz ruhig an den besagten juedischen Denkern,
Buber, Baeck, Rosenzweig.

Einer von uns versuchte sich am "Stern der Erloesung"
– damals wussten wir noch nicht,
dass Franz Rosenzweig selber den Rat gegeben hatte,
den ersten Teil zu ueberspringen,
weil es hauptsaechlich eine Abrechnung mit dem deutschen Idealismus sei (glaube ich)
und ja auch "in philosophos", gegen die Philosophen, betitelt ist.
Und wem die Sprache der deutschen Philosphie
kein Schluessel zum Verstehen des Lebens und der Welt ist,
der braucht sich nicht mit Rosenzweigs Scharfsinnigkeiten auseinanderzusetzen.


Von Rosenzweigs Denken hatte ich also noch wenig verstanden.
Ich hoffte, dass die Uebernahme des Referats bei Gollwitzer mich zwingen wuerde,
endlich zu entdecken,
wie Rosenzweigs Epoche machende Behauptung
von dem gegenseitigen Aufeinanderangewiesensein von Juden und Christen
fuer mich relevant werden koennte.


Gollwitzer,
erstaunt ueber mein Interesse an dem damals noch voellig unbekannten Franz Rosenzweig,
sagte nun:
"Wenn Sie sich so fuer Franz Rosenzweig interessieren
– moechten Sie da nicht seine Witwe kennenlernen?
Die lebt naemlich wieder in Berlin!"

 

Edith Scheinmann-Rosenzweig lud mich ein.
Von Schuechternheit und Ehrfurcht gelaehmt,
lief ich erst viele Male auf und ab,
ehe ich zaghaft klingelte.
An der schlanken alten Dame fielen die grossen blauen Augen auf.
Sonst war sie wie andere Menschen,
zwar gebildet und klug,
aber ohne besondere Waerme oder Offenheit,
bescheiden, ohne Charme.

Bis zu meinem naechsten Besuch
verbesserte sie mir Missverstaendnisse in meinem Referatsmanuskript.
Etwa drei oder vier Mal lud sie mich zum Mittagessen ein,
was meinem Mensa-Eintopf gewohnten Magen ebenso wichtig war wie die Gespraeche.
Von ihrer Erzaehlung
ueber die Art der Kommunikation mit Franz Rosenzweig war ich erschuettert.




Das Werk seines Lebens


"Kaum war ich schwanger", sagte sie,
"da begann es mit der Laehmung.
Bald konnte er nur noch
an einer besonders fuer ihn konstruierten Schreibmaschine
mit einem Finger Buchstaben andeuten.
Die Aerzte gaben ihm zwei Jahre.
Er hielt es aber noch sieben Jahre aus.
Auch die Stimme war gelaehmt, der Nacken – einfach alles.
Trotzdem kamen immer weiter Leute zu ihm.
Der Schabbat und die anderen juedischen Feste wurden bei uns mit einem "Minjan"
(mindestens zehn Maennern, die bei einem gemeinschaftlichen Gebet anwesend sein muessen)
gefeiert.
Er schrieb Artikel und Briefe,
uebersetzte den spanisch-juedischen mittelalterlichen Dichter Jehuda Halevi,
und dann,
ja dann begann das Werk seines Lebens
– Buber bat ihn,

mit ihm zusammen die 'Verdeutschung der Schrift' zu wagen."

 

 


Franz Rosenzweig during his sickness




Edith Rosenzweig: Exposition in Giv'at Haviva, Israel

 



Edith Rosenzweig with son Rafael, my husband since 1964

 


Edith's sister Ilse Strauss, who became like a mother for me,
when I studied at the Hebrew University in Jerusalem 1960-61,

gave me Rosenzweig's
"Jehuda Halevi" as a gift.
Her husband, Otto Strauss, was Martin Buber's doctor,
and helped me to have a very deep talk with the famous man.


Sein Wirken ermoeglicht

Wie war das alles moeglich,
wenn jemand weder schreiben noch sprechen kann? fragte ich,
und die Saetze in den Briefen,
die mir fuer mein Lebenkoennen wichtig geworden waren,
wurden mir noch viel teurer,
als ich mir vorstellte, wie sie zu Papier gekommen waren:

"Wir hatten eine Sekretaerin,
aber ich machte die Vermittlung",
fuhr Edith Scheinmann fort.
"Ich sagte das Alphabet auf,
und an einer Bewegung seiner Augen wusste ich,
welchen Buchstaben er meinte.
Mit der Zeit waren nur noch gewisse Buchstaben noetig,
damit ich das gemeinte Wort erkannte,
und nur gewisse Worte,
damit ich den Satz formulieren konnte."


Ich schaute auf diese Frau,
die ihrem Mann solch ein Leben und Wirken ermoeglicht hat,
ich suchte spaeter,
als sie meine Schwiegermutter geworden war,
jahrelang nach dem Besonderen an ihr.

Einmal , als ich Franz Rosenzweigs Hauptbriefpartner,
seine Cousine Gertrud Oppenheim traf
– sie war aus Suedafrika, wohin sie emigriert war, zu Besuch nach Israel gekommmen-,
fragte ich sie,
wie denn die ganz gewoehnliche Erscheinung Edith Scheinmanns
mit der ueber alles Begreifen tapferen Frau von Franz Rosenzweig
zusammenzubringen sei.

"Auch ich habe diese Frage einmal Martin Buber vorgelegt",
antwortete die betagte Frau.
"Er sagte:
'Das war eben eine napoleonische Situation"'
Er hat wohl damit gemeint,
dass grosse Menschen
andere gewoehnliche Menschen zu ihrer Groesse heranziehen,
solange sie da sind."


Edith Scheinmann,
without whom Franz Rosenzweig would have been condemned to silence and probably a much earlier death,
was - without him - an intelligent but ordinary woman.
Here she visits Israel, to see Joel, one of her two grandchildren,
from Rafael's first marriage,
and Immanuel, my son, who should not have been born, when he did,
and Ronnit, who was born at the right time in the right place, Israel 1965

 

Wie er die Bruecken baute

Damals in Berlin erzaehlte ich Franz Rosenzweigs Witwe,
dass ich von der Bundesrepublik ein Stipendium fuer Israel bekommen haette
und im September fuer ein Jahr nach Israel fuehre.
Ob ich da jemand kenne, fragte sie.
Nein, keine Menschenseele.
Ja, sie habe doch ihren einzigen Sohn dort.
Ich verriet ihr nicht,
dass ich bei meinem langsamen In-mich-Aufnehmen der Briefe
noch nie bis zu den Briefen gelangt war,
in denen von der Geburt des Sohnes die Rede ist.


1965 entstand bei Reinhold Mayer, Helmut Gollwitzer, Berhard Casper die Idee,
Franz Rosenzweigs Werk neu und ergaenzt herauszubringen.
Ich uebernahm die Erweiterung der Briefsammlung
und die Bereicherung durch Tagebuchabschnitte
und biographische Notizen,
die ich aus dem Mund oder der Feder
noch lebender Zeitgenossen Franz Rosenzweigs sammelte.

Diese Arbeit gab mir Gelegenheit,
die Dinge gruendlich kennenzulernen, die mich von Anfang an angezogen hatten:

- wie er seine Wahrheiten in seinem Leben und Sterben "bewaehrte";

- wie er Bruecken baute zwischen den drei Feindespaaren seiner Welt
– Juden und Deutschen,
- Juden und Christen,
- exilsbejahrenden Juden und Zionisten;

- und wie er das fuer mich wunderbarste aller Buecher,
die hebraeische Bibel,
in ihrer Ganzheit,
wie sie sich in jedem ihrer Worte offenbart,
uns Deuschen,
kurz vor der deutschen Vernichtung seines Volkes,
als herrlichstes aller Abschiedsgeschenke darbrachte.

 

 

 


Edith's mother Elise Salomon perished in Theresienstadt


Among Franz Rosenzweig's writings -
edited by Rachel Rosenzweig/Bat-Adam:
two volumes of letters and diaries
and

Appetit-Anreger


Immer mehr fasziniert und beeinflusst
von der Tiefe und Weite des biblischen Wortes
beschloss ich,
noch ein weiteres Rosenzweig-Buch zu machen:


Ich verschaffte mir Einsicht in die sogenannten
"Arbeitspapiere zur
'Verdeutschung der Schrift',
zehn grosse Mappen,
in denen die Bemerkungen und Korrekturen
zu den mit der Post von Heppenhim geschickten Uebersetzungsversuchen Bubers
gesammelt sind.
Sie liegen im Buberarchiv in der Jerusalemer Nationalbibliothek
und wurden mir nicht nach Hause gegeben.


So ueberliess ich Franz Rosenzweigs Enkel des oefteren einer anderen Frau,
um von dem Dorf Ramat-Hadar, in dem wir wohnten,
nach Jerusalem zu fahren
und Franz Rosenzweigs Weisheiten,
die wegen der oben beschriebenen Kommunikationsschwierigkeit
stichwortartig gefasst sind,
aus der Fuelle der mehr technischen Korrekturen herauszuklauben.
Diese philologischen, philosophischen,
exegetischen, theologischen
und einfach humorvollen Weisheiten
verarbeitete ich zu einem "Appetitanreger" zur
'Verdeutschung der Schrift',
welche dann viele, viele Jahre spaeter (erst 1984)
im Rahmen des Gesamtwerkes (ed. Nijhoff, Holland) herauskam.



Heute bin ich mehr denn je mit Franz Rosenzweig einig,
wenn er sagt:
"Es gibt doch keine schoenere Arbeit als die Arbeit an der Bibel."

Addition in English on 2007_09_14
Since my article was written in German,
an English article, published in 2006, about the discussion, Franz Rosenzweig arouses today,
may render a different perspective to what Rosenzweig has meant and still means to me.

Haaretz 2006_09_14
Harbinger of the clash of civilizations
By Yair Sheleg

The principal contemporary significance of German-Jewish philosopher Franz Rosenzweig is in his theories of a Judeo-Christian alliance that reduced Islam to idolatry, According to Dr. Yossi Schwartz.

"In Rosenzweig's book 'The Star of Redemption,' he develops what he considered religious perfection. The first part is devoted to removing Eastern and idolatrous religions from the game. The second part is devoted to opposing Islam, and the third part further develops his stance, combining the basic assumptions of both Christianity and Judaism," says Schwartz, a professor at the Institute for History and Philosophy of Science and Ideas at Tel Aviv University.

"His argument is that a serious religion needs internal tension among various interpretations. In Judaism this is the tension between the written law and the oral law, and in Christianity it is the tension between the Old Testament and the New Testament. Whereas in Islam, he claims there is no such tension, and therefore it is an atrophied religion - idolatry camouflaged as monotheism."


Schwartz believes that not only was Rosenzweig mistaken about the facts, but his mistake is also liable to be very dangerous now, of all times: "He ignored the Hadith [the narrations of the life of Mohammed, and his sayings and customs] interpretative texts that exist in Islam exactly as in Judaism. But more than that, his mistake is particularly dangerous in our times, when we see the tendency in Israel and the Jewish world to once again link Judaism and Christianity in a common struggle against Islam. That is one of the more dangerous steps a Jew can take at present [because of the location of the State of Israel - Y.S.], certainly much more dangerous now than in Rosenzweig's time."

Thanks to Yom Kippur

Rosenzweig was born in 1886 in the city of Kassel, Germany to an assimilated Jewish family. Some of his friends and relatives converted to Christianity, and in 1913 he was about to do the same. According to a myth, he told his friends that before converting he wanted one serious taste of Judaism so he would know the world he was leaving. He decided to attend Yom Kippur services once, and then convert. But that prayer service moved him so profoundly that he gave up the idea of converting and became a committed Jewish philosopher, who saw his religion as preferable to Christianity.

He opened a beit midrash school for Jewish studies in Frankfurt mainly for secular Jews, and it became an important educational institution among German Jewry at the time. Among the teachers in the institution were Martin Buber, Erich Fromm (author of "The Art of Loving") and Akiva Ernst Simon. He also began to work with his friend Buber on translating the Bible into German.

Schwartz will present his thesis about Rosenzweig on Tuesday, at a special session on the contemporary aspects of his philosophy. The session is part of an international conference in Jerusalem, organized jointly by the Reform movement's Hebrew Union College and the Conservative movement's Schechter Institute of Jewish Studies. Every two years, the international association for Rosenzweig studies organizes a conference on his philosophy, and this year, for the first time, the conference will be held in Israel.

Other participants in the conference's discussions of contemporary matters include Prof. Hannah Safrai of Hebrew Union College; Prof. Eliezer Schweid of Hebrew University, Jerusalem; and Dr. Yossi Turner, professor of Jewish Philosophy at the Schechter Institute and one of the conference's organizers (the other is Prof. Yehoyada Amir of Hebrew Union College).

Schweid also plans to attack Rosenzweig, but over another central aspect of his philosophy: His view of Judaism as a supra-historical entity, whose importance lies in the fact that it is not political but presents a spiritual ideal only - as opposed to Christianity, which operates within history and makes a constant effort to enlist new believers. For this reason, Rosenzweig was opposed to Zionism. He saw it as a blow to the Jewish ideal of an apolitical spiritual life. Only at the end of his life (he died in 1929) did he agree to accept, as a result of talks with Buber, the idea that Zionism is important for spiritual reasons, in order to create a spiritual center for the Jewish people.

Schweid attacks this position sharply: "It was total nonsense even in Rosenzweig's day, and certainly in our time, after the Holocaust. In Rosenzweig's time, after World War I, the anti-Semitic awakening could be seen in Germany, and there is certainly no point in talking about a non-political ideal after the Holocaust. The entire issue of a nation living 'outside history' is romantic nonsense. Nations, like human beings, cannot live 'outside history,' and even in the Diaspora the Jews conducted a political life."

Like the Copts

Can the existential threats to Israel strengthen Rosenzweig's stance? Schweid doesn't think so. "Anyone who thinks Zionism came to provide the Jews with an insurance policy is mistaken. States in general are a natural need for the existence of nations, even if that doesn't guarantee those same states will not be destroyed. Can the French nation or the British nation see its state as an insurance policy for its independent existence? Not necessarily. After all, they are being conquered from within by Islam," he says.

On this issue in fact, Schwartz tends to accept Rosenzweig's supra-historical viewpoint: "It is true that supra-historical life does not exist in any nation. But positing the idea of an emphasis on a spiritual and religious life seems correct to me. Zionism undermined the unique status of the Jewish people, which essentially is first of all based on a religion, with a few ethnic characteristics, like the Armenian or Coptic religion."

Turner agrees with Schweid that Rosenzweig erred in positing a non-political ideal for the Jews and in his opposition to Zionism, but nevertheless thinks his goal, and the questions he arouses, are important even if one doesn't agree with his conclusion. "It is important we be aware of the price we pay for a political life at the expense of the spiritual and ethical image of the Jewish legacy. It is important we treat the non-political, spiritual aspect of Judaism as a criterion for decisions we make in our political and public lives," he says.

In 1922 Rosenzweig fell ill with a serious muscular degenerative disease. He was forced to leave the administration of the beit midrash, and he dictated his last articles to his wife by blinking his eyes, after his body had become totally paralyzed. He died at the age of 43.

With all the disagreement, it is not clear what the secret is to the fascination he holds, at least for scholars of Jewish philosophy, who have been preoccupied with him in recent decades. Schweid thinks it is no coincidence that the general public is not interested in Rosenzweig's philosophy, "and only the academicians are interested in him." This is due to the "enigmatic quality" of Rosenzweig's biography and thought, the enigma of an assimilated Jew who returned to Judaism right on the brink of conversion, and nevertheless developed a philosophy that considers Judaism and Christianity two sides of the same coin.

As Schwartz puts it: "Rosenzweig identified with the missionary aspect of Christianity, because he claimed nobody can reach the Father without the Son. He only thought the Jews were an exception to this rule, because they are already 'with the Father.'"

 


2009

2009_11_10
I am still re-reading the Letters to Gritli,
and though it seems to me,
that nowadays even "things" , that still interested me in 2008, are fading out,
there are a few quotes, which I want to guard.

 

 

Richard Wagner,
Tristan und Isolde, II,2
"So stuerben wir, um ungetrennt,
ewig einig, ohne End',
ohn' Erwachen, ohn' Erbangen,
namenlos in Lieb umfangen,
ganz uns selbst gegeben,
der Liebe nur zu leben!"

An Margrit Rosenstock am 1. Juli 1919
"Nur dann liegt "Annaehrung" vor,
wenn keine Verschmelzung stattfindet.
Wenn ein Ich und ein Du eins werden,
nicht das Ich Ich bleibt und das Du Du,
wenn das Woertlein Und geleugnet wird
– das ist Tristan und Isolde
"so stuerben wir nun ungetrennt, ewig einig ohne End usw."
Also nicht Liebe.
Die Liebe erkennt die Getrenntheit der Orte an
und setzt sie sogar voraus
oder vielleicht gar setzt sie sie ueberhaupt erst fest
(denn was hinderte in der Welt der lieblosen Dinge,
dass eins den Platz des andern okkupierte!)

Die Liebe sagt nicht Ich bin Du,
sondern -
und nun musst du mich doch ganz verstehn und mir recht geben -:
Ich bin
Dein.


Three letters written on 19. VIII. 19, one to Gritli, one to his friend, her husband, Eugen Rosenstock, and one to both


18.VIII.19
..............Gute Nacht. Schreibst du morgen? ich meine: kommt morgen was Geschriebenes von dir? Ich bin ungebärdig wie ein kleines Kind und brauche einen Schnuller in den Mund. Und das wenigstens sind Briefe ja. Setz dich also in das braune Papierschiffchen und komm zu

Deinem Franz.



19.VIII.[19]

Liebes liebes Gritli, habe ich denn so trübetrostig geschrieben? Aber es wird wohl so gewesen sein. Die scheinbare Antwortlosigkeit Eugens drückte eben auf mir. Ich habe seinen Brief nun wieder und wieder gelesen und laufe immer mehr auf gewissen Stellen auf; ich habe ihm wohl noch nicht deutlich genug geantwortet. Manches, was ich beim ersten Lesen nicht verstand, verstehe ich auch erst jetzt. Er verlangt ja wirklich Unmögliches. Ich lese ja nicht im Neuen Testament, aber an das eine Mal, wo ich es - 1916 - ganz durchgelesen habe, denke ich mit gradezu physischen Übelkeitsgefühlen zurück. Ich kann nur Christen sehen und Christen lieben und ihr Christentum als ein Stück von ihnen, - aber wenn ich mich unmittelbar Auge in Auge "Christus" gegenüberstelle, so graut es mich. Dies alles muss ich nun wohl sagen, denn Eugen weiss es immer noch nicht recht. Seinen Glauben kann ich lieben, weil er sein Glaube ist. Aber abgesehen von meiner Liebe zu ihm ist mein Gefühl gegenüber seinem Glauben kaltes Entsetzen, ein "wie kann man nur!" Cohen half sich leichter aus der Affäre; er nahm subjektive Unwahrhaftigkeit an ("es hat noch nie einer dran geglaubt"). Ich kann das nicht. Ich glaube an die subjektive Wahrhaftigkeit von Christen. Aber objektiv bleibt mir das Christentum, was es ist und was ich nicht immer wieder sagen mag. Aufgeben kann ich diese wie Eugen es nennt "mörderische" Stellung nie. Der Geist wird uns immer scheiden. Das habe ich immer gewusst. Aber ich habe auch immer gewusst, dass uns die Liebe einigt. Ich habe eben Eugen immer geliebt, auch zu der Zeit wo ich ihm noch nichts andres bedeutete als ein Schrank voll Ansichten. Ich habe immer ihn selbst gesucht. Deshalb habe ich seinen Glauben ihm glauben müssen. Und daher hat er zu mir freier sprechen dürfen als ich zu ihm. So frei wie ich zu dir sprechen darf. Eben weil auch du mich ansiehst und immer wieder mich. Du siehst mein Judentum, aber ich bin dir nicht "der" Jude. Kann Eugen denn das nicht auch?
...........

Ich lege ein Stück Brief an Eugen bei, das ich zwischen diesen Brief zwischenhinein geschrieben habe. Es ist so scheusslich, das alles jetzt durchdiskutieren zu müssen, und doch muss es wohl sein. Wir müssen alle die Grenze klar sehen, die uns trennt. Liebes Herz, du weisst und ich weiss, dass man Grenzen klar sehen kann und dass es dennoch grenzenlose Kräfte giebt, die über alle Grenzen hinweg tragen. Sag ihm das, mit deinen Worten, wenn meine zu schwach sind. Liebes Liebes -

Dein.

 

 

Lieber Eugen, 19.VIII.19

im Schreiben an Gritli merke ich, dass das an dich direkt gehen muss. Ich habe deinen Brief vom 9.8. immer wieder gelesen und bin mir über die härtesten Stellen erst jetzt ganz klar. Ich weiss jetzt, was du mit "Morden" meintest. Und ich kann dir das nur zugeben und dir nur versichern, dass wir immer weiter so "morden" werden. Was du Morden nennst, ist ja weiter nichts als dass wir - nicht an Chistus glauben. Kannst du das nicht ertragen? Sieh, ich finde es nur natürlich, dass du sowie du mal ein bischen jüdischen Glauben siehst, gleich über Judenstolz schreist. Ich erwarte das kaum anders. Wie könntet ihr unsern Glauben glauben? Wie du eine Nacht lang dagegen getobt hast, das hat mich gar nicht verletzt. Es hilft nichts, der Glaube kann uns nur trennen. Wenn du das bei mir oft nicht empfunden hast, so lag das daran, das mir die Liebe zu den wirklichen Christen, die mir begegnet sind, leicht über das Entsetzen hinweghilft, das ich immer wieder verspüre wenn ich mir den Gegenstand eures Glaubens vorstelle. Einen kleinen Ruck aber kostet es mir immer, wenn ihr mir aus eurem Glauben heraus sprecht. Ich muss erst immer wieder euch selbst ansehen, damit ich über das wegkomme was ihr glaubt. Ist es denn umgekehrt so viel schwerer?

Lieber Eugen, liebes Gritli, 19.VIII.19

"Wovon aber lohnt es Männern zu reden wenn nicht vom gemeinsamen Heranarbeiten an die Hoffnung?"Eugen an Franz, 18.VII.1918
Also - die Hoffnung schreibt sich offenbar doch Briefe.

Aber ich werde heut auch gleich wieder in die Schule genommen. Als ich von Trudchen zurückkam (was sehr gut und nötig war, denn ich hatte mir in den letzten Tagen zu allem andern eingebildet, sie wäre mir böse - auch das noch!) (ich hatte nämlich das kleine Löbchen neulich bei uns zu einer Cigarette verführt und Trudchen hatte mich darauf am Telefon mit so kalter Richterstimme behandelt und erklärt sie schickte nicht die Eva, sondern eines von ihren Kindern, um mir die Manuskripte zurückzubringen, - sodass ich an der Strafe wohl oder übel mein Vergehen glauben lernen musste; nun war sie aber wieder gut und als ich ihr darauf die nähere Veranlassung zu der Zigarette erzählte, ganz gut.) Aber kurz, als ich zurückkam, war bei Frau Ganslandt ihr Neffe der Pfarrer Schafft. Ich hatte schon von ihm gehört. Ich bat ihn, da er mitten im Sprechen war, zu Abend zu bleiben. Er war fein. Ganz zu uns gehörig. Wir konnten uns die Worte beinahe aus dem Mund nehmen. Er setzte Frau Ganzhandt die Notwendigkeit des Untergangs und die Wiedergeburt auseinander. Bis in die Einzelheiten der Worte war alles so, als ob wieder einer da wäre, der - nun der auf der gleichen Schulbank des Lebens gesessen hätte. Er ist 36 Jahre alt, noch unverheiratet, worüber er herrlich sprach, sehr gescheit aber dabei einfach, Taubstummenpfarrer für den Bezirk ("die Taubstummen halten mich am Rockzipfel, darüber bin ich glücklich, so kann ich so leicht nicht aus der Kirche herausfallen" - er sprach davon, dass er auch in der Beziehung nichts "wolle", weder festhalte, noch sich loslasse, sondern auch das nehme wie es ihm gegeben werde.) Er hat in Halle studiert, offenbar von Kähler beeinflusst, ganz frei und weit, im Aussehen etwas gepresst und etwas ins peinlich Selbstzwingerisch = Asketische. Aber mehr im Aussehen als im Wesen. Das Aussehen ist doch oft nur die Vorgeschichte des Menschen. Und nun sprach er, ohne unangenehme Absichtlichkeit so ketzerkirchlich = hansisch = eugensch über das Und von Juden und Christen, wie von etwas Zukünftigem und doch auch wieder wie von Gegenwärtigem ... kurz er sprach so, dass ich mich schämte und grämte, euch heut vorhin so viel mit dem Unterschied zugesetzt zu haben. Magst du, Eugen, auch Schuld daran haben und mich herausgefordert haben, es war doch mehr als ich sagen durfte; und grade der Zusammenklang mit diesem Fremden, ein Zusammenklang der doch zunächst nur rein gedankenmässig war, (denn ihn gleich zu lieben, verhinderte mich etwas wie ein Ressentiment, das ich gegen seine Reinheit und bei aller Bewegtheit doch Ruhe empfand), also er war nur gedanklich und doch ein so vollkommener Ein= und Mitklang, dass ich heute zum ersten Mal grad nachdem ich es so heftig abgestritten hatte, verspürte dass da doch etwas Institutionelles im Keimen ist. Hier konnte ich ja nichts aufs Private abschieben; ich kannte ihn ja nicht, kenne ihn auch jetzt noch kaum, obwohl wir sehr gut miteinander wurden. So wurde mir zum ersten Mal glaubhaft, was Hans und du Eugen meintet, als ihr den * [Stern der Erloesung] zu euren Büchern haben wolltet. Für Menschen wie diesen Pfarrer wäre es gegangen. Aber solche Menschen finden ja auch, was im andern Garten wächst. Immerhin ich sehe nun, dass da mehr ist als eine geschichtsphilosophische Konstruiererei. Als ich ihm übrigens im Laufe des Gesprächs (d.h. er redete meist und ich hörte - und stimmte - zu), also als ich ihm von meiner jungen Skepsis gegen alles Geschichtsvertheologisieren sprach, meinte er es sei ebenso sündhaft sich gegen solche Erkenntnisse wenn sie sich einem aufdrängten zuzusperren wie sie mit Gewalt ertrotzen wollen, wie nichts = geschenkt = nehmen = wollen genau so sündhaft wäre wie nehmen was einem nicht zukommt. Dagegen konnte (und kann) ich ja einfach nichts sagen, er hat einfach recht.

Ich will also nun wirklich das was du Eugen das Institutionelle nennst, stehen lassen, Ich kann es nicht wie du laut rühmen, aber wenigstens kann ich auch nichts dagegen sagen und will es wachsen lassen - wenn es wachsen will.

Denn - "das Wunder der blossen Gegenwart zweier vertrauender Menschen zeugt vielleicht eine neue Sprache?"

 

 

 

2009
[continuation of excerpts from K.i.s.s.-log 2008_08_13]

 

 

 

 

 

 

"God himself couldn't help shoving toward this heart, for what it asked. I never knew,
that a child can thus guide His Will.."



 

 

 

 

 

 



"My name doesn't appear in the diary.
I am only called "he".
I had no idea of this "he",
despite her mother's visit with me.
And quietly and tirelessly did this "he"
force my destiny into its realm,
till it could transform into a "you".
... I resisted, I still refuse to take these "6 years" seriously... but this resistance has fallen away,
.. I can do nothing any more, my heart lies before her on its knees"

Letters to Gritli 28.I.20.
This letter of Franz Rosenzweig describes Edith's diary about one single theme:
HE,
i.e. the man whom she loved
but who did not love her, not before he married her and not after
The letter is mentioned on December 8, 2009

Mein geliebtes Gritli, heut vormittag gab mir Edith das Tagebuch, von dem sie mir geschrieben hat. Es ist gar kein Tagebuch. Ein Wachstuch = Kollegheft mit Linien; Einträge, die ersten im August 1914, der letzte im Mai 1917, eine Entschuldigung vorweg, dass sie in dieser Zeit der allgemeinen Not anfinge ihr eigenstes privatestes Leid auszuschütten, aber sie habe keinen Menschen, dem sie es sagen könnte; und dann kommen die Einträge, anfangs häufig, nachher nur mit grossen Zwischenräumen, und alle nur über das eine Thema, andres höchstens einmal en passant. Das ahnte ich ja nicht, bis heute noch nicht, auch aus ihren Worten nicht. Die Sprache ist dumm klug, aber das Herz, das spricht, ist so weise, eine so abgründige Weisheit, dass Gott selber wohl nicht anders konnte, er musste diesem Herzen zuwenden, worum es bat. Ich habe nie gewusst, dass ein Kind so Seinen Willen lenken konnte. Ich wusste ja noch jeden Augenblick, den sie darin durchklagt und durchbetet, und denke ich, wie mein Herz ihr damals abgekehrt war während der ganzen Zeit, ja selbst in jenem ersten Winter 13/14, den sie selbst mit dem ersten geschriebnen Wort schon als das erste Jahr ihrer Liebe hineinzieht - so überläufts mich, wie ein lebendiges Herz ein totes, ein ihr totes, lebendig, für sie lebendig, machen konnte. Ich musste weinen vom ersten Wort an, und immer wieder aufs neue, so schlicht war alles, so rein und so unendlich stark.

Ich habe ja keine Worte dafür, ich sagte ihr selber, dass ich ihr nur mit einem ganzen langen Leben darauf antworten kann, auf dies eine unermüdliche von keiner Hoffnungslosigkeit zum Schweigen gebrachte Wort der Liebe. Denn die Hoffnungslosigkeit, die sie von Anfang an ahnt, ist ihr ganz erbarmungslos klar seit dem Oktober 14, wo ihre Mutter bei mir war. Und doch hört ihre Liebe nicht auf, es war eben wirklich "die" Liebe. Ich kann mein Leben lang nichts tun als ihr dies gedenken, verdanken.

Mein Name kommt gar nicht darin vor. Ich heisse nur "er". Ich ahnte ja nichts, trotz des Besuchs von ihrer Mutter bei mir, nichts von diesem "er". Und still und unermüdet hat dies "er" mein Schicksal in seinen Bereich gezwungen, bis es sich verwandeln konnte in ein "du". ... es ist wirklich die Seele im Pilgerkleid mit Stab und Wanderschuhen, die ausging und ging und ging und sah wohl nicht viel von der Welt, durch die sie ging, bis sie "ihn" - mich gefunden hatte. Und ich habe mich ja gesträubt, noch bis heute, diese "6 Jahre" ernst zu nehmen, ich wollte sie für sie genau so wenig wahrhaben wie sie es für mich waren. Aber das Sträuben ist mir vergangen, es war ein letztes Sträuben, ich wollte ihr die ganze Grösse ihres Vorsprungs vor mir nicht eingestehn, aber nun kann ich nicht mehr, mein Herz liegt vor ihr auf den Knien.

Liebe, und du kannst sie nicht finden in dem Bild. Ach, abgesehn von allen Bildern und ihrer Unmöglichkeit, ich verstehe es ja selber zu gut. Habe ich sie denn gefunden? und krampft sich mir nicht täglich noch in ihrer Nähe das Herz zusammen, wenn ich ihre Stimme ungeräuspert rasseln höre. Ich kann gar nichts dawider. Es wird mir immer aufs neue schwer. Und ich muss mir immer aus Neue die Kraft aus ihren Augen holen - die mich doch selbst noch anfremden, solange sie mich nicht ansehn. Und dennoch, wenn ich das Bild jetzt wieder sehe, begreife ichs wieder nicht, dass du sie nicht doch darin gefunden hast. .....

Dein Franz.

I'm inserting an accidental sequence of letters, without omissions, without stressing,
just to show ten days of the everyday outer and inner situation of Franz Rosenzweig
in the first months after his marriage with Edith.

15.VI.20.

Liebes Gritli, wenn ich so die Überschrift schreibe, und mitten aus diesen eigentlich befriedigten Tagen heraus, ist es mir doch als müsste ich mit der Feder den Raum durchstossen, der uns trennt. Bloss der Raum? Ja doch! bloss der Raum.

Wann werden wir uns wiedersehen? es kann ja freilich nur ein Sehen sein, und mehr als je sind wir jetzt auf Briefe angewiesen und die sind dürftig. Auch wenn wir uns viel schreiben. In Frankfurt sind wir uns näher; das ist gut. Könntet ihr nicht doch nach Darmstadt gehn?

Hansens Inschrift in Trag. und Kr. ist aus dem Ketzerschluss, das weisst du doch? Ich bin auch noch nicht dazu gekommen, weiterzulesen.

Wir waren bei Tante Julie heut Nachmittag. Sie wird ja morgen 93 Jahr. Sie war ganz erhellt; es war nur ein leichtes Gespräch, aber so wie man es mit keinem andern Menschen auf der Welt führen kann.

Ich freue mich sehr auf Hedi, sie wird doch sicher kommen. Denk aber, die Geschichte - wenn der Mann nicht so alt wäre, so würde ich ernstlich wünschen, es würde doch etwas daraus. Ein Pfarrer, der mit der Bibel schmeisst, den findet man doch nicht alle Tage. Aber freilich weil er alt ist, ists eben so gegangen.

Mit Tante Emmy sprachen wir auch einen Augenblick. Sie hat natürlich doch nicht verstanden was ich ihr gestern gesagt habe. Aber sie hat eben auch nicht verstanden, was geschehen ist. Denk doch, ihre Version ist: sie hat an Tante Julie gedacht, ich an Onkel Viktor! Sie begreift gar nicht, dass man gar nicht daran denken kann, wen man wie am besten schonen könne.

Mutter goutiert jetzt Edith immer mehr. Der Besuch in Wildungen hat dies Wunder gewirkt. Sie erzählte mir gleich, dass schon die Tatsache, dass sie Blumen aus dem Garten, ein Körbchen voll, mitbrachte, ihr den Weg freigemacht hätte.

Aber das Zusammenleben ist jetzt ganz gut möglich. Die paar Wochen, die wir für uns waren, haben das gewirkt. Weisst du, es giebt jetzt manchmal schon die "stumme Verständigung", und dann schadet der "Dritte" ja nichts mehr.

Ich lese viel, bin ja überhaupt in diesen Wochen zum ersten Mal seit Kriegsende und * = Ende wirklich fleissig. Heut hab ich für Kauffmann eine "Inhaltsangabe" vom * machen müssen.

Gute Nacht. Grüss Säckingen.

Dein.

16.VI.20.

Liebes Gritli, die Stunde heut war nicht besonders gut. Dabei ersticke ich etwas unter Korrekturen u.s.w. - Ob du wohl kommst? Fast ist mir bange, ich würde vor lauter Zutunhaben gar nichts davon merken.

Weisst du nicht, ich schrieb dir schon einmal auf das Gleiche, was du mir heut vom Tod schreibst. Dass er uns zwingt, Menschenliebe und Gottesliebe auseinander-zuleben. Solange der andre lebt, leben wir beide Lieben als eine. Aber wenn er stirbt, dann wird es zweierlei. Denn zwar unsre Liebe kann seinen Tod überleben, - warum nicht! Aber seine nicht, denn sie wird dann in seine Gottesliebe aufgenommen. Und davor prallen wir dann schliesslich auch zurück. Einen "Seligen" kann man nicht lieben.

Ich bin mehr als müde heute von dem Tag, beinahe "kaput". Ich bin das Arbeiten noch nicht wieder gewohnt.

Gute Nacht

Dein

18.VI.20.

Liebes Gritli, wie lang wird es nun dauern! ich hatte ja das nur als die auf lange einzige Möglichkeit gemeint. Das Rechte wäre es freilich nicht gewesen. Immerhin hättest du mich dabei sprechen hören, und wer weiss, ob mir so etwas wie diese Montagsvorlesungen in Frankfurt nocheinmal glücken wird; ich habe manchmal das Gefühl: so was kann man nur einmal. (ich fühle jedesmal wieder - und höre es auch immer wieder von den Hörern - dass es etwas Besonderes ist und dass Rudis Kritik nicht richtig war; das Technische mache ich sowieso jedesmal besser). Das hättest du nun noch gehört, darum ists schade. Und wie es nun in Frankfurt auch sonst werden wird? unser "Seusal" hat sich noch nicht wieder gerührt. Von Frau Curtis auch noch nichts (wars am Ende doch nicht mit Küche?)

Die Frage "Zionismus" springt mich jetzt, wie es so geht, aus allen Ecken an, aus jedem Buch in das ich hineinsehe, aus jedem Menschen, mit dem ich spreche.

Ich lese viel Maimonides. Er hat viel von dem, wofür "man" bei Spinoza schwärmt ("amore Dei - selig aus Verstand"), aber ohne das, was mir bei Spinoza unerträglich ist. Er ist eben "selig aus Verstand" und doch Jude, also doch ein Mensch geblieben.

Dein Franz.

19.VI.20.

Liebes Gritli, heut Nachmittag war plötzlich Rudi da! Nun ist es ganz spät geworden, denn ich habe (auch Julie v.Kästner war da) den Wächter vorgelesen, diesmal mit mehr Eindruck bei allen, besonders bei Edith, auch wohl bei Rudi und ein bischen sogar bei Mutter.

Eugen sag Dank für Brief und Broschüre, ich habe sie schon gelesen, und schreibe ihm morgen, heut Abend ist es zu spät.

Dein Franz.

20.VI. 20.

Das Kommen der Londoner ist wieder ungewiss. (Ich glaube aber vorläufig noch daran).

Den wunderbaren Brief von Rudi an Tante Julie schickt bitte gleich an mich zurück. Wir waren gestern Nachmittag bei ihr. Sie ist ganz unbeschreiblich jetzt. Von einer Heiterkeit, in der keine Spur von Abstumpfung ist. Beim Abschied sagte sie zu Rudi: "und schreib Vater, dass ich gewiss ebensoviel - nein, nicht gewiss, aber dass ich viel an Helene und an ihn denke".

20.VI.20.

Liebes Gritli,

von Hedi hatte Mutter heute leider eine Absage: sie sei zu kurz in Dillich. Offenbar will sie sich keinen Tag von der Freundin trennen. Sie will einen Tag nach Kassel mit ihr kommen, "um Wilhelmshöhe zu sehen", da will sie auch Mutter einen Besuch machen, "um sie kennen zu lernen". Schade.

Es sind jetzt so schöne stille Tage, und Mutter stört uns diesmal garnicht. Diese paar Wochen für uns allein haben uns soviel fester gemacht. Was fehlt, fühl ich ja genau. Aber es macht mich jetzt nicht unruhig.

Ich möchte dich einmal wiedersehen. Ich kann dir gar nicht mehr recht schreiben. Ich habe eine Sehnsucht, die gar keine erlösenden Worte findet, sie ist wie auf den Mund geschlagen. Selbst soviel kann ich ja niemandem sagen als dir selbst. Aber das versteht sich ja eigentlich, und war nie anders. Es ist doch überhaupt schon sonderbar genug, dass ich mich darüber wundre, dass ich es nur dir sagen kann und niemand sonst.

Ich lese viel Jüdisches und wachse immer breiter hinein. Aber es schmerzt, dass es so seitab von dir geschehen muss. Ich werde noch unter die Übersetzer gehen, pass acht! (Ich will wirklich jetzt in Berlin mit einem der neuen jüd. Verlage, der Übersetzungen sucht, sprechen. Ich will die Arbeit doch auch bezahlt haben).

Gute Nacht, liebe, liebe -

Dein.

21.VI.20.

Liebes Gritli, die Montagsvorlesung habe ich heute geschlossen, Thema: die Gebärde. Es war eine Kombination von Ästhetik, Pädagogik und Metaphysik. Verbunden mit einer wüsten Polemik gegen die "Ideale", unter teilweiser Vorlesung von Schillers Das Ideal und das Leben. Die Alten waren sehr entsetzt, und ich nähme ihnen doch das Einzige was sie hätten, wenn sie nicht mehr an das Wahre Gute und Schöne glauben dürften. So sagten Tante Emmy und Hennar Hallo.

Ich hatte Kopfweh tagsüber und bei der Vorbereitung war mir schwummerig, weil ich nicht wusste, ob ichs mehr pädagogisch oder mehr ästhetisch machen sollte. So machte ichs dann aus Verlegenheit beidlebig.

Es war übrigens die landesübliche Verbindung von Kirchentum und Ketzertum, - eigentlich ein unerklärlicher Mischmasch für den ders von aussen sähe. Der Gegenbegriff gegen die "Ideale", mit dem ich schloss, war natürlich das "Himmelreich".

So gut wie die andern Stunden war aber heut die nicht.

Die Vorlesungen sind übrigens das einzige, was diese Woche aufhört. Die Arbeitsgemeinschaft und das Hebräische geht nach Berlin weiter.

Gute Nacht.

Franz.

22.VI.20.

Liebe - grade gestern hätte ich auch beinahe wieder im Ketzer angefangen; ich bin ja auch erst bis zu den Aposteln (die ich übrigens gut fand, wenn auch schwierig). Ich komme aber doch erst Freitag dazu, auf der Reise; wenn ich nicht da so viel Korrekturen u.s.w. zu machen habe, dass ich zu nichts anderem komme. Das u.s.w. ist ein - Toast (der offizielle!) aufs Brautpaar. Das wird ein wirklich offizieller, denn sie sind mir beide schnuppe. Aber ich bin das einzige männliche Wesen von "unsrer" Seite, ausser meinem Schwiegervater. Auch Salomons sind ja verreist. Wir wohnen übrigens bei ihnen (Dr. Salomon, Wannsee bei/Berlin, Kl.Seestr.11) draussen, es ist wunderschön da, ein Haus mit einem grossen gepflegten Garten (einer Wiese), der in den See herunter fällt, mit eignem Badehäuschen. Da sind wir also von Freitag Abend bis Donnerstag früh.

Dein Franz.

22.VI.20.

Liebes Gritli,

wir waren im Theater, in den Gespenstern. Es sind nämlich "Festspiele" hier, lauter Auswärtige, und dies war der einzige Abend, wo wir konnten. Es war ganz lustig, mal wieder im Theater zu sein, alles gut angezogen. Die Aufführung war aber stillos, trotz guter Schauspieler und trotzdem die Mutter von der Bartens prachtvoll gespielt wurde. Der Ibsenstil ist offenbar schon verloren gegangen. Ich habe ja all die Sachen noch unter Brakes[?] gesehen, das war das einzig Mögliche. Heute suchen die Schauspieler alle nach Ausbruchs = Gelegenheiten, sie sind alle viel zu sehr wieder auf Pathos gestellt, und das verträgt Ibsen ganz und gar nicht.

Dann ist der Theseninhalt doch nachgerade so komisch unmodern geworden, dass man es kaum mehr verträgt. In 20 Jahren, wenn er erst aus "veraltet" zu "historisch" geworden sein wird, wirds wieder geschehen. Denn gespielt werden die Sachen da sicher auch noch; die Arbeit ist zu gut. Aber heute! Knalleffekte wie der "gefallene Mann" und dergl. - und zu denken, dass schon die 50 jährigen im Theater doch noch ernst bleiben, wenn sie so was hören und erst unsereins einfach lacht!

Ibsen ist doch ein Dichter, ich bleibe dabei. Er ist nur jetzt in dem Stadium zwischen Modern und Klassisch, das das allergefährlichste für den Nachruhm ist.

Wenn man übrigens so lang nicht im Theater war, so ist ein Nichtkostümstück immer der schlechteste Wiederanfang.

Liebe, das Schreiben ist ja nur noch ein Ritus. Wo bleibst du selbst? Ich möchte immer an der Entfernung rütteln, aber sie bleibt bestehn. Es ist auch nicht bloss die Entfernung. Früher wäre ich ja einfach zu dir gefahren. Dass das jetzt nicht geht, ist doch nicht bloss eine "äussere Tatsache".

Liebes Gritli --- Franz, dein Franz.

23.VI.20.

Liebes Gritli,

die Bibelstunde (cap.19-21) war sehr schön, es ist ein ganz lebendiges Hin und Her. Nachher waren wir bei Tante Julie. Sie war müde, aber dabei trotzdem geistig ganz wach und verklärt. Sie ist jetzt immer wie verklärt.

Dann wieder eins der kleinen jetzt schon gewohnten Renkontres mit Tante Emmy, wegen der letzten Montagsstunden. Wobei sie aber immer sehr nett bleibt; denn sie liebt mich ja. Aber reden lässt sich nicht mit ihr. Dabei versteht sie uns schon, sie spürt das Bolschewistische und schliesslich ist es für das Renommée des lieben Gottes ("in majorem Dei gloriam") besser, er gilt bei den Heiden für einen Patron der Revolutionäre als für ein Götzenbild der Reaktion.

Wobei mir übrigens einfällt: Was habt ihr gewählt? die Politik interessiert mich augenblicklich wieder und ich kucke manchmal in der Frkfter Zeitung verstohlen über den Strich.

Dein Franz.

24.VI.20.

Statt eines Briefs von dir kam heut früh ein Wutgeheul von Eugen mit einer Geldstrafe von 40 Pfennigen. Die habe ich bezahlt, aber das Wutgeheul muss ich ablehnen. Denn selbstverständlich habe ich den Zusatz auf dem Umschlag mitgezeigt, und er ist auch von Rudi voll in diesem Sinn, dass er "alles aufhebt" verstanden worden. Ich habe Rudi sogar meine Vermutung gesagt, wie der Zusatz wohl zustandegekommen ist: infolge eines Briefs von Rudi an Dich, den du weiter an Eugen geschickt hättest und durch den Eugens zunächst "mehr theoretisches" Mitgefühl (das war alles, was in dem Brief gestanden hatte, "mehr theoretisch" nämlich im Vergleich zu dem mit O.Viktor) sich enttheoretisiert hätte. So wird es ja wohl gewesen sein.

Aber ich hätte den Brief überhaupt nicht gezeigt, wenn nicht ich selbst dabei der viel Betroffenere gewesen wäre. Nur durch mich und meinen Frankfurter Brief erklärt sich doch Eugens Antwort. Rudi sollte also meine Schuld an Eugens Schweigen erfahren. Das hat er auch durchaus begriffen, und von mir und Eugen gesprochen. Wobei ich übrigens, obwohl ich einen vollen Eindruck von Rudi habe, mein ursprüngliches Gefühl duchaus nicht verloren habe und noch heute genau wie an dem Tag in Frankfurt mein eigentliches Mitgefühl auf O.Viktor geht. Ich bin viel zu sehr "Realist", um es anders zu empfinden. Rudis Gefühle kann ich ihm sehr genau teils ja mit=, teils wenigstens nach = empfinden, aber bei O.Viktor sehe ich einen Zustand, und Zustand ist mehr als Gefühl, als selbst das stärkste Gefühl. Dabei bleibe ich.

Nun werde ich meiner ekligen Geschmackslosigkeit die Krone aufsetzen und Eugens Donnerwort (das aber nicht Ewigkeit ist), an Rudi schicken, damit er sieht, was er angerichtet hat, indem er sich von einem Reiter = über = den = Bodensee = Gefühl leiten liess bei seinem Brief an Eugen. Und werde mich nicht begraben lassen. Und kriege nun grade einen Brief von Eugen mit einem bischen Eiei nach dem übereilten Wutanfall (wenns ein Eiei ist, darfs auch Strafporto kosten).

Und bin eigentlich nur etwas traurig, dass du dir an diesem Brief von Eugen genug sein liessest und nicht das Gefühl hattest, neben einem solchen Brief von Eugen erstrecht selber schreiben zu müssen. Bist du so weit weg von mir?

Dein Franz.

24.VI.20.

Liebes Gritli, jetzt habe ich auch die Donnerstagvorlesung geschlossen; die Hörer begeisert, ich nicht. Heute 1889-1920. (Goethe, Judenemanzipation, Weltkrieg, Zionismus). Mein Verhalten zum Zionismus wird ja immer mehr à la Bileam: ich bin ausgezogen, um ihm zu fluchen, und segne ihn bei jeder Gelegenheit.

Auf Goethe habe ich so geschimpft, dass auch die Goetheanerinnen es vertragen haben, das hat mich gewundert.

Nun bin ich aber doch angenehm erleichtert, dass die Vorlesungen zu Ende sind. Es nimmt doch mit, - innerlich und äusserlich. Das Sprechen selber ist ja ein Genuss, und so freue ich mich doch auch in dieser Beziehung auf Frankfurt.

Morgen früh gehts also nach Berlin. Mir ist eingefallen: Eugen ist gar schon in Landeshut! das wäre mir unangenehm, wenn er meinen Brief dadurch (an dich heut morgen) dadurch erst viel später bekäme, und noch ein paar Tage lang seine Wut behielte. Eigentlich hätte er sich selber denken können, dass es nicht so war. Aber ich weiss ja von mir selbst, dass man in solchen Fällen plötzlich sich gar nichts mehr denken kann und nur noch wütend ist. Aber du hättest ihm eigentlich gut zureden können, - wozu ist er denn verheiratet?

Ich habe da grade den Brief im Umschlag liegen. Dabei fällt mir noch genau ein, was Rudi sagte, als er das auf dem Umschlag gelesen hatte: "na das will ich aber auch meinen". - Du hast ja inzwischen Rudis Brief an Tante Julie gekriegt. Ich schickte ihn euch doch absichtlich, um euch etwas mehr von ihm selbst mitzuteilen, als ichs damals von Frankfurt aus gekonnt hatte. Aber der Unterschied bleibt. Rudi selbst hat ihn ja in dem Brief an Tante Julie ausgesprochen.

Es gehört wohl übrigens zum Bilde in sochen Fällen, dass einen grade die Teilnahme der Nächsten nicht befriedigt. Ich weiss, dass ich im April 18 in allen Antworten an meine Nächsten sie immer "richtiggestellt" habe, so Eugen, so Rudi, so Hans, dich ohnehin -. Während ich mit den im Grunde natürlich viel konventionelleren Teilnahmebezeugungen der Fremderen viel zufriedener war. So geht es jetzt auch Rudi.

Es ist ein Stück Bedürfnis nach dem bloss Typischen in einem in so einer Zeit. Und das können einem die Fremderen am besten leisten. Man sollte immer daran denken wenn man "Fremderer" ist, dass man dann grade etwas geben kann.

Aber schon zu viel. Nur dass ich von dir keinen Brief habe!

Grüss den wieder besänftigten Donnergott.

Nun weiss ich ja noch nichtmal, wo du eigentlich bist. Es ist wirklich sehr unrecht.

Dein Franz.

25.VI.20.

Liebes Gritli, ich wollte dir eigentlich nicht schreiben heute, denn ich fühlte den ganzen Tag deutlich, dass du mich absichtlich mit Eugens Brief allein lassen wolltest, und ich war gar nicht verwundert, auch hier nichts von dir vorzufinden. Nun schreibe ich dir doch, ins Leere, ich weiss ja noch nichteinmal, wo du bist, ob in Stuttgart oder Hinterzarten oder Landeshut. Wenn du wüsstest, was du tust. Es kann sein, dass du deine Macht zum Guten über mich verloren hast, das weiss ich nicht. Aber zum Bösen hast du sie jedenfalls noch ganz und gar. Solche Tage, wo du mich im Stich lässt, machen mich mit einem Schlag zur Ruine, in der 1000 Teufel ihr Wesen treiben. An solch einem Tag wie heute stürzt das bischen Ehe was vielleicht schon da ist zusammen wie eine Theaterdekoration, und es umgiebt mich das reine Nichts. Ich sitze Edith gegenüber, wie heut den ganzen Tag in der Eisenbahn, und frage mich: wer ist das? Ich habe nichts mehr, um das ich keine Anführungsstriche mache. Ich kann vielleicht noch beten, aber nicht um die Wirklichkeit, nur um die Illusion der Wirklichkeit. Denn ich glaube an so einem Tag höchstens an Illusion.

Und warum das alles? Selbst wenn es hier nicht grade zufällig so läge wie es liegt, also selbst wenn Eugen recht gehabt hätte, - durftest du so mittun? dich einfach so mitnehmen lassen? ihn allein lassen? Gut, du konntest ihn schreiben lassen, wie er geschrieben hat; aber musstest du dann nicht von dir ein Wort dazu schreiben, selbst und grade wenn er recht gehabt hätte. Wär es nicht dann grade nötig gewesen? Und nun war es doch immer möglich, dass er unrecht hatte und sich von Rudis Götzendienst vor den eignen Gefühlen, den er doch kennt, hatte düpieren lassen, wies hier zufällig wirklich war. Wie musste dann dein Schweigen wirken.

Weisst du denn nicht, dass du mich trägst? Dass du das einzige Leibhaftige in meinem Leben bist? Es ist furchtbar, das zu schreiben. Ich habe dich lange damit verschont. Aber so ein Tag wie heute, wo ich einfach in ein Nichts verwandelt bin, lehrts mich, selbst wenn ich es je vergessen könnte. Ich habe auf der Erde nichts ausser dir. Nichts, verstehst du? Ich weiss dass ich mit diesem "Nichts" meinem Leben das Urteil spreche, aber habe ich mir dies Leben selber gezimmert? Ich nehme die Schatten ernst, mit denen ich lebe, denn ich weiss, dass sie mir von Gott in mein Leben hineingeworfen sind, aber ich kann doch nicht vergessen, dass es nur Schatten sind. Mein Blut hat nichts andres zu tun als diese Schatten zum Leben zu wecken. Aber noch sind sie Schatten, dieser Tag lehrts mich. Du bist das einzige Wirkliche in meinem Leben. Vergiss das doch nicht! keinen Augenblick!

Dein Franz.

 

While "LOVE" for Rosenzweig became a matter of despair,
and even with Gritli the relationship was no more the same,
and his disease loomed ahead, though not yet known to anyone,
his teaching suddenly was propelled forward and upward.
I'll quote just one letter,
which gives an idea about the beginning of the path,
which in 1929 led to what for me and in my eyes
was Rosenzweig's greatest achievement: the discovery of
what structures the language of the Hebrew Bible
and makes it ONE
!


Letter to Gritli on 22.VIII.20.

Liebes Gritli, es ist Abend
und der lange Tag, der heute früh um 5 angefangen hatte, ist herum.
Es ist schon so lange her, bis heute Morgen.
Wir haben ja selten so Abschied genommen.
Aber es ist diesmal als müssten wir uns sehr bald wiedersehn.
Und wir werden es.

Ich habe doch jetzt das Gefühl als könnte ich alles tragen
und müsste nicht daran zu grunde gehn,
wie ichs in den letzten Monaten meinte.

Der Tag war fruchtbar für das Semester.
Es ist ein schöner Vorlesungsplan entstanden,
ein encyklopädischer aus 6 Vorlesungen.

I Das klassische Judentum

1.) Das Gesetz

2.) Die Profeten

II Das historische Judentum

3.) Geist der Halacha

4.) Geist der Agada

III Das moderne Judentum

5.) Die jüdische Welt

6.) Der jüdische Mensch

Immer das Ungrade von einem Orthodoxen oder Zionisten

1: Rabin,*
3: Nobel,
5: Franz Oppenheimer*** (oder sonst Mayer),

das Grade von einem Liberalen oder Unsereinen
(2: Salzberger,
4: Seligmann,
6.) Strauss oder ich)

Wenn ich 6.) mache, dann wird es eine Gallerie von 8-10 Portraits, etwa:
Der Zweifler,
Der Fromme;
Der Revolutionär,
Der Aristokrat;
Der Treue,
Der Abtrünnige;
Der Begabte,
Der Einfältige;
Der Heimkehrer,
Der Sämann.
Immer zwei zusammengehörig,
und übrigens alle 10 eine Person, eben "der" Jude.

Zu jedem eine Gestalt aus dem 19. scl. zur Erläuterung.
(Buber,
Cohen;
Landauer,
Disraeli;
Hirsch,
Stahl;
Heine,
Riesser;
Birnbaum,
Strauss.
Oder andre. Es ist egal.
Es kann so etwas Grosses werden wie die Kassler Montage.
Denn ich muss von allen zehnen so reden,
dass jeder merkt, dass er alle zehne in sich trägt.

Auf jeden Fall halte ich die Festrede zu Anfang über die ganze Vorlesungsgruppe, nämlich über "Klassisch" "Historisch" "Modern"
- in ihrer Gleichzeitigkeit
und über die Aufgabe des Lehrhauses:
die Gleichzeitigkeit dieser 3 Dinge den Menschen bewusst zu machen.
Es giebt also eine Rede an meine Mitlehrer, mehr als an die Schüler.

Nachmittags mit Heinemann aus Breslau. Er wusste nichts von der "Bildung"!!

Gute Nacht und Leb wohl und Auf Wiedersehn Geliebte

Dein Franz.

Notes in the version of the Book:
1) Franz Rosenzweig, Briefe und Tagebuecher,
edited by me and by my mother-in-law Edith Scheinmann-Rosenzweig. p. 689

(I'm copying from my own book)


An Gertrud Oppenheim 29.9.20
....
Die Festtage waren sehr schoen hier. Wir "orthodoxisieren" uns zusehends, weil das strenge "das und das ist verboten" einfach notwendig ist als ein Gartenzaun. Denk z.B. ein Tag, wo man einfach prinizpiell nicht telefoniert! Besonders wenn man sonst halbe Tage an der Strippe haengt wie ich jetzt.

[Im Oktober 1920 begannen die Vorlesungen im Lehrhaus. In der Zeitschrift "Der Jude" 1923 wurden die Programme der bis dahin abgehaltenen Kurse abgedruckt. Aus der Charakterisierung des Lehrhauses, die Richard Koch diesen Programmen vorangestellt hat:]
"...Das Lehrhaus kennt keine politische Polemik. Hier geraten nicht Orthodoxe und Liberale, Zionisten und Staatsbuerger juedischen Glaubens aneinander. Diese Gegensaetze liegen hinter uns. Damit soll es jeder halten, wie er mag. Wir sehen das mehr historisch. Der juedische Liberalismus und die juedische Orthodoxie, der Zionismus und sein Gegenteil lassen sich nicht aus unsererWelt herausschweigen. Sie sind alle Teile des Lebendigen. Wir zeigen sie, wir erkennen sie an, suchen sie zu verstehen, aber wir lehren sie nicht. So trennen wir uns von niemand, der guten Willens ist. Auch nicht von der nichtjuedischen Welt, den Voelkern unter denen wir nicht nur wohnen, sondern zu denen wir so gehoeren wie wir sind, mit dem was wir lieben und wuenschen. Moege unser fernerer Weg mit ihnen nicht wieder ein Weg des Leidens werden, wie er es auf so lange Strecken gewesen ist. Wenn unser geschichtliches Leid aber wieder kommt, dann wollen wir wissen, warum wir leiden, wir wollen nicht wie Tiere sterben, sondern wie Menschen, die wissen, was gut und schlecht ist. ~~~ Das Lehrhaus soll uns lehren, warum und wozu wir es sind.
~~~Am ehesten ist es noch dem traditionellen "Lehrhaus" verwandt. Es dient wie dieses der Pflege eigenen, ererbten Besitzes. In diesem Sinne ist es eine Bildungsanstalt. Es ist aber viel weniger als das alte Lehrhaus Schauplatz juedischen Lebens und viel mehr Vorbereitung dazu. Zurzeit ist es geeignet, Menschen, die den Wunsch dazu haben, in die juedische Welt einzufuehren. Vielleicht bleibt es nicht dabei. Moeglicherweise waechst sich gerade der Sprachunterricht und der Unterricht in den literarischen Quellen einmal so schoen aus, dass das Lehrhaus ein Haus des Studiums wird. Schon ist es mehr als einmal geschehen, dass Studenten von auswaerts nach kurzer Probe von der Universitaet ins Lehrhaus hinuebergewechselt sind und an ihm ein oder zwei "juedische Semester" in ihr Studium einschoben~~~"
Da die Programme mit grosser Sorgfalt von FR gestaltet wurden und fuer den "systematisch gewaltsamen Architekten typisch sind" (Ernst Simon), seien einige im Folgenden an ihrer historischen Stelle eingefuegt:

Zweites Lehrjahr
(Erster Lehrgang untr FRs Leitung, vorher ein Jahr Juedische Volksvorlesungen.)
Erster Lehrgang (Oktober bis Dezember 1920)

Vorlesungen:

I. Grundriss:
A. Das klassische judentum
1. Rabbiner May: Die Tora
2. Rabbner Salzberger: Die Propheten.

B. Das historische Judentum
3. Rabbiner Nobel: Geist der Halacha.
4. Rabbiner Seligmann: Geist der Haggada.

C. Das moderne Judentum
5. Richard Lichtheim: Die juedische Welt.
6. Franz Rosenzweig: Der juedische Mensch.
    Die Erben der Geschichte: Der Zweifler; der Fromme.
    Die Kinder der Zeit: Der REvolutionaer; der Aristokrat.
                                Der Treue; der Abtruennige.
                                Der Begabte; der Einfaelitge.
   Die Saemaenner der Zukunft: Der Heimkehrer; der Prophet.

II. Einzelgegenstaende:
7. Professor Huelsen: Die Kunst im Zeitalter der Bibel (mit Lichtbildern).
8. Eduard Strauss: Mystik in Heidentum, Christentum, Judentum.

Arbeitsgemeinschaften.
I. Zur Einfuehrung in juedische Quellen
9. Franz Rosenzweig: Hebraeisch. Ohne Vorkenntnisse.
    (Lehrziel: Verstaendnis der Hauptstuecke des festtaeglichen Gottesdienstes).
10. Eduard Strauss: Lesen der heiligen Schrift.

II. Zur Klaerung und Anregung.
11. Richard Koch: Unterhaltungen ueber Atheismus.
12. Franz Rosenzweig; Alte Antworten auf neue Fragen.

More notes to the letter to Gritli:
** Israel Rabin, 1882-1951, Hebraist, Judaist, Dozent am Rabbinerseminar in Breslau.

*** Franz Oppenheimer, 1864-1943, Arzt, Nationaloekonom und Soziologe, seit 1919 Professor in Frankfurt. Er arbeitete auch fuer die Siedlungsgenossenschaften in Israel.

**** Von Oktober bis Dezember 1920 hielt Rosenzweig am Lehrhaus in Frankfurt die Vorlesung " der juedische Mensch", abgedruckt in Zweistromland S. 559-575.

*****Gustav Landauer, Philosoph und Literaturwissenschaftler, 1919 als Revolutionaer im Gefaengnis ermordet.

******Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield, 1804-1881, britischer Politiker und Schriftsteller.

*******Samson Raphael Hirsch, 1808-1888, Gruender und gestiger Fuehrer der neuorthodoxen israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt.

usw. usw.


I hit upon a few letters from Edith Rosenzweig to Gritli,
around the time when she was a guest of the Rosenstocks in Stuttgart,
because the Rosenzweigs still hadn't got hold of a flat (after the war!)
The letters show those aspects in Edith, which Franz emphasized,
when he forced himself "to look at the positive points".

In the last letter of 1920 he calls the day of his engagement: SUICIDE


[24.10.20] Liebes Gritli,
nun sitze ich in der Bahn nach Kassel. In den zwei Tagen in Frkf. bin ich kaum zum Sitzen gekommen. ... Ich habe noch Franz' Umzug besorgt u. hatte nicht einmal Zeit, in die Wohnung zu gehen, die besonders schön gewesen sein muss. Ich bin froh, dass Franz bei Frau Nassauer wohnt, er hat wenigstens ein ordentliches, heizbares Zimmer. Aber beruhigt kann ich ihn nicht allein lassen, er sorgt zu wenig für sich, sieht ganz elend aus. Und schön waren die beiden Tage trotz alleR Hetze doch. Ich bin froh und ruhig und glücklich, Gritli!

Meine Tage in Stuttgart waren gut für uns. Und nun habe ich eine Bitte an Dich, die ich Dir mündlich sagen wollte und zum Schluss vergass: Hab manchmal ein Wort für mich, direkt oder durch Franz. Wenn wir zusammen sind, dann brauchen wir keine Worte, aber so ist's nötig für mich jedenfalls. Ich möchte nicht immer neben Euch leben, sondern mit Euch. Ich möchte zu den "Wir" ganz gehören. Die Anfänge sind da, ich weiss, aber schwer ist's noch immer. Ich weiss nicht, ob Euch allen ganz klar ist, wie unendlich viel Neues seit meiner Verlobung und Hochzeit in mein Leben gekommen ist. Es ist mehr als nur der Wechsel vom Mädchen zur Frau, der schon allein gross genug ist, um einen etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber der Unterschied zu meinem früheren Leben ist so gross, es ist als ob ich in einer anderen Luft lebe, in der ich das Atmen erst lernen muss. Wenn Ihr mir dabei helfen wollt, dann bitte, "behandelt" mich nicht. Ich weiss wohl, es geschieht aus Liebe und Schonung; aber leichter wird's für mich dadurch nicht. Ich bin seelisch zu empfindlich, als dass ich die "Schonung" nicht spürte. Und dies Bewusstsein ist vielleicht oft bohrender als eine offene Wahrheit, auch wenn sie mich erschreckt und schmerzt, und habt Vertrauen zu mir und Geduld, wenn ich zu dumm bin oder - zu jung, zu jung noch unter Euch.

Warum ich Dir das alles jetzt schreibe? Ich weiss eigentlich nicht. Es richtet sich ja nicht allein an Dich, vielleicht an Dich am wenigsten, und ein Vorwurf soll's nicht sein, wahrhaftig nicht.

Wie geht es Dir denn? Noch immer so matt? Nimmst Du auch artig Tee und Pülverchen?

Ich habe Verschiedenes BEI Euch gelassen: Fuß... [?], Emser Salz, Pyramidon, Mentolpastillen. Wenn Eugen eher nach Frankfurt kommt als einer von uns nach Stuttgart bringt er alles vielleicht mit. Grüße ihn – dafür. Einen Kuß von

Deiner Edith

The letter from Franz to Gritli on November 1, 1920 relates to Edith's letter:

1.11.20.

Liebe, ich schreibe dir nochmal nachts; zuhause war ja dein Brief von Sonnabend. Mir hat Edith davon nichts gesagt; nur neulich aus Kassel schrieb sie mir, dass sie dir aus der Bahn geschrieben hätte und es sei eigentlich ein Brief an mich gewesen. An etwas einzelnes wird sie also sicher nicht denken, bloss an das Ganze was sie spürt und was doch unabänderlich ist. Das was ich selber dir von Marburg aus schrieb. Diese Unmöglichkeit, so zu ihr zu sprechen wie mir der Schnabel (bisher) gewachsen ist.~~~ eben musste ich ihr noch schreiben. Da schrieb ich noch, dass ich unterwegs in Hahn (Kulturpflanzen und Haustiere) gelesen hatte - es war ein komisches Hin und Her gewesen, ob ich das Buch vorhin in Marburg kaufen dürfte oder nicht. Da wollte ich noch ein paar Worte über das Buch schreiben, dass es mich entzückte, weil es so ungeheuer gelehrt, so weltfroh und so junggesellenhaft gallebitter zugleich sei wie es sonst gar nichts giebt - und diese paar dummen Worte blieben mir richtig in der Feder hängen, ich hatte das Gefühl: das kann ich ihr doch nicht schreiben. Und da gehts um ein Buch! Aber im Leben natürlich erst recht. Ich hatte heute als ich abfuhr das Gefühl: es wächst vielleicht, eigens für sie, ein ganz neuer Mensch in mir gross, den weder du noch ich kennen, - bloss damit sie doch jemanden hat, mit dem sie wirklich leben kann. Bisher muss sie sich mit meinen Kleidern, und mit meinem Spiegelbild in den Augen der Leute begnügen; aber das geht ja auf die Dauer nicht; wie sie darunter leidet, zeigt dir ihr Brief. Aber mir selbst ist dieses fremde zukünftige Ich auch ganz ungreifbar. Es ist eben nicht mein und nicht dein.

(2.11.20?)
...Was du von Edith schreibst, ist nicht gut. Kein Mensch erträgt, wenn ihm sein Recht auf Leben nur halb wird. Gar nicht, das geht. Aber halb, ist unerträglich. Wäre ich gar nicht gekommen (wiedergekommen), so hätte sie ein Kryptogamendasein aus - ge"lebt" wie so viele, - guarde e passa [look and pass]. Jetzt ist sie aus dem senza coda e senza vergogna [tailless and without shame] herausgerissen, nun muss es schon in den Himmel oder in die Hölle gehn, die Schattenwelt der Vorhölle öffnet sich keinem wieder, der sie verlassen hat.

4.11.20
Es ist einfach nicht wahr. Du hast mich nicht um das mehr, was Edith weniger hat, wahrhaftig nicht. Du hast einen 1/2 = oder 3/4 = Toten im Arm. Das ist ein Weniger, das doch niemand so spüren muss wie du. Denn du kennst mich ja lebendig. Edith merkt das freilich nicht. Sie hält meine Vielgeschäftigkeit für "Leben". O weh! Aber du - du weisst doch wie ich war.

31.12.20.
Liebes Gritli, grade in dieser Nacht, wohl als ich dir schrieb, ist Tante Rosette [his mother's sister and Trudchen's mother) plötzlich gestorben und die Beängstigungen, die ich aus Mutters ungewohnter Güte während dieser Woche geschöpft hatte, sind also fehlgegangen; es war wohl nur ein Vorgefühl dieses Tods. Sie sah heut Morgen noch wunderschön aus, ohne Härten, lächelnd; ich war lange im Zimmer, der Tod ist mir nicht fremd mehr, das spürte ich auch an diesem Toten. Fast ist das Leben mir fremder, es geht mich jedenfalls weniger an. Das ist ja dasselbe was ich dir diese Nacht schrieb. Die Fäden lösen sich, einer nach dem andern und es knüpfen sich keine neuen mehr.

Der 6.I . [engagement of Franz and Edith] 'war eben ein Selbstmord, es giebt kein Zurück. Der 28.III. [Wedding] ist nicht das Zurück, sondern der Beginn des Begräbnisses, ......
Ich sah heut Morgen ja auch Trudchens Neues, beim Baden, ein wunderschönes Kind. Eben ganz ohne die Geschwistergefühle, die ich bei der Toten hatte. Das Kind war mir, als wollte es auf einen andern Stern als auf dem ich wohne, die Tote hatte sich nicht von mir und meiner Wohnung entfernt.


12.XI.20.
Edith to Gritli

Liebes Gritli, es scheint mein Schicksal zu sein, dass ich Dir immer aus der Eisenbahn Briefe schreibe.

Ich bin froh, dass Du mich verstehst - aus deinem eigenen Ich heraus. Aber eine "Gleichung" ist's wahrlich nicht, ich glaube grade wir beide sind sehr verschieden, und darum ist es wohl möglich, dass ich garnicht über das "Duverhältnis " zum "Wir" komme. Das war Dein Weg, meiner mag ein andrer sein. Welcher? Ich weiss nicht, denke auch nicht mehr darüber nach. Das muss ja von selber kommen, irgendwann, wahrscheinlich als Überraschung, wie es mir zum Beispiel mit Trudchen ging. Ich konnte zuerst den Weg garnicht zu ihr finden, und plötzlich war's da, als ich nichts "wollte" und nicht "dachte".

Es war gut in Kassel, für Mama und mich, dass wir uns mal allein hatten. Körperlich geht's ihr eigentlich unverändert, wenn sie seelisch besser im Stande ist, merkt sie's viel weniger. Sie wurde eigentlich von Tag zu Tag elastischer. Ich freue mich, dass ich ihr etwas helfen konnte.

In kurzer Zeit bin ich bei Franz, das ist doch das Schönste.

9.I.21. [Gritli is pregnant]

Liebes Gritli,

ich kann nichts andres mehr denken; was ich tue - und das ist so einiges - immer sehe ich Dich und freue mich. Was Mitleid ist, wusste ich, aber Mitfreude erlebe ich jetzt richtig zum ersten Mal, und wunderschön ist es. Es ist mir noch so ganz neu, ich kann es mir noch garnicht richtig vorstellen, so wunderbar kommt es mir vor und wie muss dir zu Mute sein! Nur eins tut mir leid, dass Du so weit fort bist, ich möchte Dich gern küssen.

Es wird schön bei uns, wann wirst Du es Dir ansehen? Ich habe noch viel zu tun, aber ich habe jetzt ein Mädchen, da wird es etwas leichter für mich.

Es war schön, wieder mal bei den Eltern zu sein. Meine Schwester ist auch in Hoffnung - ein schönes Wort, finde ich - . Als ich es erfuhr, weinte ich. Es war kein Neid, ich war nur traurig. Aber als Franz mir von Dir sagte am Freitagabend, unserem ersten hier, da jubelte es in mir. Und meine Zuversicht wächst, dass auch mein Hannah - Gebet erfüllt wird.

Ich umarme Dich.

Deine Edith.




Franz Rosenzweig's excruciating self-denial, self-victimization
- "I am dead" -
influenced also his final beginning (!) of his work in the World.
Already after a few months he saw his work in the "Lehrhaus" as a failure.
I, his daughter-in-love, identify with his frustration totally,
but I caused myself to become 71 and learnt to no longer feel a victim!

My scarce comments - in December 2009 - are based also on my studies of "Abraham's Teachings"!

16.1.21.
...Auch die Notwendigkeit meines Hierseins ist mir doch schon jetzt zweifelhaft. Ich würde, wenn ich irgendwo anders hin könnte, hier schmerzlos weggehn. Die Leute brauchen mich nicht, - nicht mich. Was sie von mir wollen, geben ihnen ihre Pfaffen viel besser. Was ich gebe, merken sie überhaupt nicht. Ausser der technischen Glanzleistung meines "Hebräisch in 17 Stunden" ist alles, was ich hier tue, in den Wind gestreut. Von dem Publikum des vorigen Lehrgangs, das du sahst, ist fast niemand wieder gekommen!!

Dein Franz.

18.1.21.
Liebes Gritli, die Vorlesung war z.T. schlecht, im ganzen doch ein so richtiger "F.R.", dass es mir sehr recht war, dass Nobel sie gehört hat. Es scheint ihm wenig gefallen zu haben, aber das schadet nichts, da wenigstens ich selber es war, was ihm dann missfallen hat und nicht irgend ein Zufallsprodukt. Übrigens war es auch formell gut, weil teilweis in Gesprächsform. Morgen ist nun die erste Übung und die erste Aussprache.

19.1.21.
Liebes Gritli, Eugen ist da, ich geriet - aufgereizt durch seine Zufriedenheit - in ein grosses Lamento über den zu frühen Niedergang den ich hier mit meiner Sache erlebe. Er wird dir ja davon erzählen.

Heut morgen die Studenten waren zufrieden, ich sprach eben ihre Sprache. Aber jeder verlangt, dass ich seine Sprache spreche, es giebt keine Sprache für alle - weil sie ja die allgemeine Sprache nicht hören wollen. Man ist eben nur Arzt, und der Arzt muss auch jeden Kranken für sich behandeln. Die Prophylaxe, die freilich für alle gleich sein könnte, wäre ja nur bei Gesunden am Platz, also bei noch nicht Kranken, bei Jungen. Das heisst praktisch: entweder Kinderlehrer - oder auf jede Wirkung ausser der in 50 Jahren verzichten. Und die in 50 Jahren ist mir, weil blosse [doppelt unterstr.] Wirkung -, natürlich unsympatisch - man will doch selber noch etwas Gegenwirkung spüren, wenn man wirkt.

Es ist spät. Eugen war etwas vor den Kopf gestossen, er kam so vergnügt an - und er hatte ja das gute Recht dazu. Aber mir war es, durch die vielen Parallelen zwischen seiner und meiner Anstellungsgeschichte ...

20.1.21.
Liebes Gritli, es wurde noch ein ganz schöner Tag. Ich war ja des Morgens sehr deprimiert, dass Eugen wegfuhr, obwohl ichs nicht sein wollte. Aber die Vorlesung ging besser als ich vorher dachte und nachher sprach mich Elkan, der Bildhauer an, der dagewesen war, er möchte mich heut Abend mal sprechen; ich war mit Edith zum Essen da und es gab ein wirklich famoses Gespräch, er wollte einen Rat oder eine Bestätigung seines Plans für ein jüdisches Gefallenendenkmal, das ihm die Gemeinde Dortmund in Auftrag geben wollte. Er ist ja nur zweiten Ranges, aber ein netter, aufgefalteter Mensch und so war es ein wunderhübscher Abend.

Leider zieht nun das Wohnungsgewitter herauf. Wahrscheinlich wird man mir zumuten, 10000 M zu zahlen für die Gnade in Frankfurt wohnen zu dürfen. Ist das nicht eine grosse Blamage? Morgen werde ich näheres hören. Aber die Hoffnung auf Ruhe zum Arbeiten ist nun wieder hin; einige Wochen werde ich nun wieder mit Laufen und Gesuche schreiben zubringen. Wäre es nur nicht gar so unmöglich, in Kassel zu sein. In Frankfurt zu wohnen habe ich ja schon heute keinen Grund mehr, den einzigen ausgenommen dass es nicht Kassel ist. Dein Franz.

[21.? 1.21]
Liebes Gritli, Eugen ist meine Unkerei nun doch auf die Nerven gegangen. Er schafft es sich - "oh Eugen! " - vom Leibe, indem er es in ziemlich abenteuerlicher Weise auf den Gegensatz Jud. = Chr. ablädt. Damit hat es natürlich nicht das mindeste zu tun, sondern bloss mit der Tatsache, dass ich am Ende er am Anfang seines ersten Jahres steht. Vor einem Jahr war ich (in kleinerem Massstab, wie meine ganze Sache) ebenso hoffnungssicher wie er,...Mein persönliches Fiasko empfinde ich schon jetzt, obwohl es vorläufig noch nicht die mindesten sachlichen Folgen für meine Position hat; ich habe noch genügend "Rückhalt", aber das "Werk meiner Hände" zerrinnt mir. Und wir leben nicht [doppelt unterstrichen] von "Rückhalt", sondern vom Gefördertwerden des Werks unsrer Hände.
[End of Psalm 90 , see my tune!]

Trotzdem wars Unrecht, dass ichs nicht gehen liess, aber ich war zu voll von mir selber, habe doch übrigens nur diesen schliesslich doch nur sehr nebensächlichen Teil meiner Schmerzen ausgeschüttet. Eugen fragte einmal Edith, was sie dazu sagte. Es ist doch ein Glück, dass ich über etwas zu lamentieren habe, was Edith verstehen kann. Vielleicht empfinde ich es sogar deshalb stärker als ich sonst würde. Denn was ist im Grunde an Erfolg oder Missrfolg gelegen. Aber es ist doch meine gemeinsame Platform mit ihr. Das andre kann ich sagen, kann sie traurig damit machen, aber verstehn kann sie es doch nicht; sie ist einfach zu jung dazu.

Das Zusammensein in Frankfurt erschreckt mich nicht mehr. Merkst du denn nicht dass wir darüber hinaus sind? dass wir schon in Einer Stadt leben?! Ich spüre es täglich.Dein Franz.

22.1.21.
Liebes Gritli, Eugen schreibt mir einen Brief worin er zu viel und zu wenig fordert. Zu wenig, denn was er fordert, dass ich für ihn da sein soll versteht sich doch von selbst. Zu viel, denn ich kann für ihn nur soviel da sein, wie ich eben überhaupt noch da bin. Und das ist freilich weniger als er brauchen wird. Um diese Einsamkeit wird er sowenig herumkommen wie einer von uns. Die Zeit des Sich wirklich helfen könnens ist eben wohl vorbei. Jeder muss eben sehen, wie er allein fertig wird. Es handelt sich ja wirklich nur noch ums "Fertig"werden.

... Im Grunde zähle ich meinen Frankfurter Aufenthalt nicht mehr länger wie diesen Sommer höchstens. Was dann folgt weiss ich nicht. Jedenfalls wird es mich weder äusserlich noch innerlich hindern, Eugen irgendwas zu leisten, was - er selber haben will (und was ich selber kann, denn z.B. zu christlichen Arbeitern könnte ich nicht reden, weil ich eben ihre Sprache nicht spreche, im Krieg war es anders da gab der Krieg eine gemeinsame Sprache). Also jedenfalls an dem "hinter den Kulissen" wird mich das Jüdische wirklich nicht hindern, bloss das "Nichtvorhandensein".

Wir waren bei Eduards heut Abend. Es war nett, und durch Alice doch unerträglich.Nachmittags waren wieder Ernst Simon und Ruth Nobel da.

Morgen ist Ediths Geburtstag. Ich stehe äusserlich mit fast so leeren Händen da wie innerlich.Dein Franz.`

23.1.21.
[Edith's birthday and also my son's, Rosenzweig's grandson's birth 1963]

Liebes Gritli, Eugen nimmt ja alles viel zu hoch....und ich habe ihm vorweg die Erfahrung gemacht, dass eine Anstellung, bei der wir selbst angestellt sind und nicht irgend eine Leistung von uns, eine Unmöglichkeit ist. Deshalb muss er durchaus anfangen - das Weitere wird sich schon ergeben; irgendwas wird mit mir nach diesem Sommer ja auch werden, ob grade in Frankfurt oder sonst wo, weiss ich nicht. Ich bereue ja nicht, dass ich angefangen habe. Ich habe ja auch (bei mir) gleich auf Enttäuschung gerechnet, nur nicht so rasch und so gründlich.

[If you, my father-in-love, did "rightaway take into account disappointment" ,
what did you expect to attract into your drama?]

... Anstellung eines Menschen wegen seiner Menschlichkeit (Interparteilichkeit) an einer Stelle, wo schliesslich als Kunden lauter Leute hinkommen, die nur Unmenschliches haben wollen und von allen andern Seiten darauf gedrängt und dazu erzogen sind, Unmenschliches zu verlangen.

[You are judging! you are victimizing yourself! You are focusing on the worst!]

.. Eugen darf doch nicht vergessen, dass mir diese ganzen Berufsenttäuschungen doch herzlich nebensächlich sind, ja dass sie mir im Grunde sogar willkommen sind, weil ich sie wenigstens Edith mitteilen kann. Grade weil sie eben nur das Werk meiner Hände betreffen und nicht mich selbst. Ein grosser Berufserfolg wäre mir noch viel peinlicher, denn dann hätte ich überhaupt nichts mehr mit Edith gemein; ich könnte ihr dann gar nicht mehr begreiflich machen, wie mir zumute ist. Es ist also schon besser so, dass nicht bloss ich, sondern auch das Werk meiner Hände kaputt geht.

Wie sonderbar, dass Eugen erst heute merkt, dass ich nicht gut zu Edith bin. Ich bin es noch nie gewesen. Tage wie heute sind furchtbar für sie wie für mich.

Liturgiereformen? u.s.w.u.s.w. Ich muss doch die Zeit (und meine Gedanken) irgendwie totschlagen. Wichtig ist mir das alles nicht mehr. Aber soll ich überhaupt kein Wort mehr mit Edith zu sprechen haben? Über diese Dinge kann ich mit ihr sprechen. Und es macht uns sogar einen gewissen Spass. Ich bin freilich weit weg davon......

31.1.21
[FR had sent Edith to the Rosenstocks "for a bit of wisdom", since they were the only people with whom she could talk]
... Dein Brief - du musst immer erst sehen, um zu glauben. Es war doch nur genau das, was ich dir grade in der letzten Zeit immer wieder geschrieben hatte. Dass dies Leben für Edith eine Hölle ist. Ich hatte nur die Möglichkeit, dass ich mich irrte und dass mit ein paar Tropfen "Weisheit" vielleicht alles ein andres Gesicht hätte, nicht ausschliessen
[sic], obwohl ich selber wahrhaftig nicht daran glaubte. Da du mir bestätigst, dass ich nicht übertrieben habe, so ist eben alles hoffnungslos. Denn dein Rezept ist natürlich unanwendbar. Wie soll aus meiner Ausgelöschtheit noch Liebe kommen. Mit mir ist es zu Ende. Man kann auch sagen: Ich bin ein Mann geworden. Oder "ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft". Es kommt auf eins heraus.

3.2.21
...Ich habe Edith geheiratet, ohne sie zu lieben. Dadurch sind die Liebeskräfte überhaupt in mir erloschen, ich bin wieder wie als 12 oder 10jähriges Kind. Ich lebe aber in einer Atmosphäre (der jüdischen) wo meine Existenzberechtigung darauf beruht, dass in mir Liebeskräfte sind. Also ist alles was ich tue, Lüge. Ich markiere den Schein das Lebens, ich rede vom Leben und bin eine Leiche. Das ist alles. Und daran ändert sich nichts. Wenn Edith "aus sich herausgeht", ist sie mir am allerschrecklichsten; ich vertrage dann weder ihre Worte noch ihre Stimme noch ihre Bewegungen. Es ist nicht nötig, diesen Satz sofort telegrafisch nach Heidelberg und Göttingen zu übermitteln (und von Göttingen telefonisch nach Kassel). Aber wahr ist er doch, auch wenn ich nicht weiter davon rede. Versteht ihr wohl: ich wünschte mir doch z.B. ein Kind, oder eigentlich Kinder. Aber das ist ein ganz objektiver Wunsch. An sich graut es mir vor - ihren Kindern. Die "Stimme der Natur" schweigt eben in mir, heute noch genau so wie vor einem Jahr. Ich muss mir oft klar machen (wozu ja in Frankfurt reichlich Gelegenheit ist), dass mir andre Frauen noch unangenehmer wären als sie.

... Ich habe die Pflicht, ihr das Leben, soweit es an mir liegt, erträglich zu machen. Weiter weiss ich nichts. Deswegen hab ich ihr den Brief z.B. heut Morgen nicht gegeben. Jetzt, nachdem ich die Antwort aus mir heraus habe und nicht mehr in Gefahr bin, ihr diese Sachen ins Gesicht zu sagen (es genügt wirklich, dass sie sie weiss; die tägliche Wiederholung ist wirklich nicht nötig; höchstens für mich, als eine Restfunktion des Lebens; vielleicht werde ich auch dies Nein eines Tages nicht mehr fühlen, weil ich eben überhaupt nichts mehr fühlen werde), - also jetzt mag sie ihn ruhig lesen. Übrigens verstehe ich den Brief selber nur zum Teil. Ist das Haus der Toten in dem ich seit einem Jahr lebe und das mir nun zerbricht, nachdem ich ein Jahr lang getan habe als ob es lebe, meine Ehe? oder mein Beruf? ...Ich weiss nur eins: meine Ehe war nur möglich, solange ich einen Überschuss an Lebenskraft hineinzugeben hatte. Sie hat ihn aufgezehrt, nun habe ich nichts mehr hineinzugeben und sehe nur noch das Nicht. Es ist nur das Trägheitsgesetz, nach dem ich noch das Leben so weiterlebe, als lebte ich noch. In Wirklichkeit müsste ich mich heute habilitieren und alles verleugnen, was ich bisher gelebt hatte.

Deswegen kam heut Morgen eine Aufforderung , ... den ständigen Mitarbeiterposten für "Allgemeines" bei der Hist. Zeitschr. zu übernehmen. Dem Gesetz der Trägheit zufolge habe ich abgelehnt, vielleicht auch aus der dummen abergläubischen Hoffnung, es könnte doch nochmal bergauf mit mir gehen. (Und ausserdem aus Grauen vor der masslosen Langeweile dieser "gelehrten Beschäftigung"). Überhaupt weiss ich ja einfach nicht, was andres ich tun sollte. Und deshalb wurstle ich fort. Und lasse mich vorübergehend anwärmen von dem Hauch lebendiger Menschen mit denen ich zusammengerate und die mich nicht als tot erkennen. Das ist vielleicht jetzt das Beste an meiner Existenz hier.

Euer Franz.

6.2.21
...Aber damals war ich nicht hoffnungslos, denn ich spürte, ich hatte noch Lebens= und Liebeskräfte zuzusetzen. Das Verzweifelte heute ist, dass ich mich selbst erloschen fühle und von keinem Menschen auf der Erde mir Hülfe erwarten kann. Soweit ich noch schreien kann, schreie ich zum Himmel. Aber meist kann ich noch nicht einmal mehr schreien.

8.2.21
....Die Bibelstunde durch ihr immer etwas fluktuierendes Publikum lässt mich grade immer wieder die Notwendigkeit, die Sachen zu sagen, sehen. Es weiss sie wirklich niemand von selbst. Die Menschen merken beim ersten Mal meist überhaupt nicht, was Strauss sagt, so neu ist es ihnen. Sie interpretieren sichs unwillkürlich in ihre gewohnten Phrasen zurück, reden vom "Göttlichen in uns" statt von Gott, u.s.w. Es dauert einfach eine Zeit lang, bis sie merken, dass Strauss es wirklich anders meint als sie. Ich habe ja jetzt meist Orthodoxe als Hörer. Die sind aber ganz genau so. Sie glauben auch nur an die "übertragene Bedeutung". O weh - ich lerne jetzt die unübertragene von einer neuen Seite kennen, wir haben viel zu viel von der Liebe geredet, der Zorn ist genau so wirklich, solange er wirklich ist.

Freilich kann man sich fragen: ist es nötig, die Köpfe zurechtzusetzen? Und wenn sie nun zurechtgesetzt sind - und die Leiber sind noch genau so unzurechtgesetzt! das Schrecklichste beinahe ist mir doch jetzt Ediths dauerndes gouvernantenhaftes Sekundieren, wenn ich einem Menschen etwas sage (es ist natürlich auch sachlich stets Unsinn, aber das wäre ja ganz gleich). Ich müsste stumm sein dürfen.

Meine Sommervorlesung ist ja eine etwas stumme ("Grundriss des jüdischen Wissens").

9.2.21
... Auf deine Frage, woran ich denn glaube, hab ich dir ja grade in diesn Tagen schon vorweg geantwortet. Ich lerne seinen Zorn kennen. Ob er "zum Besten" [vielleicht Anspielung an Roemer 8:28] dient - mag sein, aber die Schläge schmerzen darum nicht weniger. Mein Glaube an dies "zum Besten" besteht darin, dass ich keinen Augenblick den 6.I.20 aus meinem Dasein wegdenke, wirklich keinen Augenblick lang, und ebensowenig den 9.II.21 oder welcher Tag sich nun grade Heute nennt. Nicht [doppelt unterstr.] darin, dass ich nicht stöhne oder, bisweilen, schreie.

10.II.21.
Liebes Gritli, ich spürte, dass das kommen würde. Dass es von dir zuerst kommen würde, hatte ich nicht erwartet. (Rudis mir vorenthaltener Brief ist ja sicher schon auf diese Melodie gegangen). Eigentlich ist das nun wohl das Letzte. Was könnte nun noch kommen. Aber es ist zugleich so lächerlich, dass ich trotzdem noch antworten kann. Du weisst gar nicht, worum es sich handelt. Wo dir das "Kreuz" helfen könnte, könnte mir das "Gesetz" helfen. Das Kreuz ist ja nur der Gesetzersatz für die Gesetzlosen. Aber ich verzichte auf diese "Hülfe". Ich könnte sie billig haben, so billig wie du das "Kreuz". Ich fälsche mir den wirklichen Tod nicht in einen gemeinten Selbstmord um.

Ich bin froh, dass ich dir gestern Abend, ehe ich diesen Brief bekam, dir die wahre Antwort geschrieben habe, die positive. Ich könnte dir jetzt, nach dieser Verirrung, nichts Positives sagen. Wie kann man einer Nonne, die sich in der Betrachtung von Christi Wunden tröstet, von Gott sprechen. Sowenig wie einem Juden, der im Gesetz lernt. Man kann ihm nur sagen, dass sie Götzendienst treiben, dass sie Gott vergessen. Erinnere dich. [doppelt unterstr.] An den einzigen Lebendigen, den einzigen der nicht stirbt. Der uns das "Gesetz", euch das "Kreuz" gegeben hat, nicht um sich vor uns dahinter zu verstecken, sondern um den Menschen ein Zeichen zu geben, unter dem sie sich versammeln können, wenn sie zu schwach sind sich unter ihm selber zu versammeln, und von sich aus dann in Gefahr wären, sich unter jenen Götzenbildern zu versammeln, die noch nicht einmal den Namen des lebendigen Gottes tragen. So gab er uns diese Götzenbilder, an denen wenigstens noch sein Name hängt.

Ich nehme Leben und Tod von Ihm [doppelt unterstr.]. Aber ich fälsche mir den Tod nicht in Leben um, was freilich sehr leicht geht, man braucht zum Entgelt ja bloss zu erklären: das wahre Leben ist der Tod (am "Kreuz" oder am "Gesetz"). Nein Tod ist Tod, Leben ist Leben, ich weiche vor seiner Hand nicht aus, ob sie mich streichelt oder ob sie mich schlägt.

Ginge es dir nicht so gnädig, dass dir der Tod in Gestalt von sichtbar spürbarem neuem Leben geschenkt wäre, so würdest du wissen wie es tut, und hättest diesen Brief nicht geschrieben. Dein Franz.

[ca 10. 2.21]
Lieber Eugen, ...Von Gritli hatte ich einen sehr törichten Brief - schliesslich kein Wunder, nach den Lasten die mein tägliches Schreiben in den letzten Wochen auf sie gewälzt hat, dass ihr da schliesslich der Kopf benommen wurde und dass sie, wirklich wie die "Toren" mit einem grossen Aufwand von "Theo" = logie erklärt: "es ist kein Gott".

11.II.21.
Liebes Gritli, eigentlich bin ich dir gegenüber in eigener Sache jetzt in der gleichen Stellung wie im August, als du drauf und dran warst, dich von Rudi mitreissen zu lassen und Helenes Zusammenbruch in etwas ungeheuer Positives umzudeuten. Inzwischen ist ja an Rudi sehr deutlich geworden, dass es ein Zusammenbruch war und weiter nichts. Rudis Vereinsamung und schliessliche Flucht ins Kloster - was bedarf es weiter Zeugnis. War es Leben gewesen, was damals bei Helene geschah so wäre Leben daraus geworden und nicht ...die Erklärung der Vergangenheit für "Geschwätz". Genau so wie damals gegen die unwahrhaftige Lebensschminkung des Tods bei Helene kämpfe ich jetzt für den ehrlichen Namen der Dinge, die sich bei mir abgespielt haben und will, was Tod ist, Tod genannt haben. Und gestatte weder mir selbst noch dir die Dogmatisierung, die so bequem und so narkotisch ist. Hätte Rudi damals seinen Schreck nicht narkotisiert, so wäre es vielleicht heute für beide besser. Vielleicht auch nicht. Aber an sich ists auf jeden Fall besser, die Wahrheit zu sagen, solange man kann.

Die Vorlesung war wirklich sehr gut, und die nächste wirds auch....
.... Da möcht ich mich doch hinter all eure (und meine) tümer auf die alte ehrliche Natur zurückziehen, die wenigstens nicht lügt. Dein Franz.


12.II.21.
Liebes Gritli, es ist spät geworden über einem langen und unnötigen Brief an Eugen. Mit den Gewaltkuren ist nicht geholfen. Wäre es nicht schon meinetwegen, so müsste ich Ediths wegen im Jüdischen bleiben. Für mich ist es, nächst dem Garnichtmehrsein das einzig Erträgliche, für Edith aber ist es das einzig Mögliche. Grade an den Sabbaten brauchst du sie nicht zu bedauern. Was sie vom Leben hat, hat sie da. Es war wirklich das Gefühl einer Notlage, dass ich sie grade am Sabbat zu euch geschickt habe; ohne dringendste Not hätte ich es nicht getan. Gedankt habe ich lange nicht, aber es kommt ja nicht auf die Worte an.

Die zweiten Lebenshälften in die wir jetzt alle hineingestossen werden (Edith, die nie eine erste gehabt hat, ausgenommen), werden uns ja vielleicht alle auch einmal wieder zusammenbringen, nur ganz anders. Es giebt vielleicht auch da wieder etwas wie ein Leben. Ich habe jetzt keine Vorstellung davon und deshalb kann ichs nicht Leben nennen.

Das eine weiss ich: die jüdische Atmosphäre um mich herum ist das einzige was mich jetzt halbwegs in Form hält. Ein Heraus aus ihr, wie es Eugen sich ausdenkt wäre mir schrecklich. Hier sind doch Leute, die mich auf das hin beanspruchen, woran ich glaube. "Draussen" habe ich Meinecke, der mich auf das festlegen will, was ich noch nichtmal als ich es machte je für etwas andres gehalten habe als eine Schüler = und Übungsarbeit.

Gestern Abend Blaus, heut Vormittag Nobel, Nachmittags Ernst Simon, dann Koch - ein klarer geordneter ag, und alles was ich tue (mit Ausnahme alles dessen, was zwischen Edith und mir geschieht) ein Stein zu dem Bau, dessen Umrisse ich sehe und zu dessen Grundriss ich vielleicht die Zeichnung habe machen dürfen ---- was hätte ich zu wünschen, wäre nicht die eine schreckliche Ausnahme. Aber vielleicht geht es grade ohne die nicht. Obwohl - das ist dummes Zeug; ich weiss nicht warum das so sein muss.

Und auch zwischen mir und Edith giebt es einen guten Augenblick - zwar nicht wenn wir ganz allein sind, aber wenn der Sabbat als dritter dabei ist. Da lasse ich sogar mich immer wieder von der Hoffnung fangen, und werde freilich gleich wieder aus der Hoffnung herausgeworfen; es sind eben nur Augenblicke. Für mich nicht aber für meine Ehe ist das Gesetz eine Lebensrettung. Dein Franz.

12. und 13.II.21.
Lieber Eugen ....
....Nicht die Toten loben Gott. Ich habe ja auch nicht mehr zu leben. Ich habe mich nur noch hineinzuwerfen in den Topf in dem die Zukunft brodelt. Die nicht mehr mir gehören wird. Denn mir gehört gar nichts mehr. Auch nicht die Gemeinschaft mit euch mehr. Wir sind alle (nicht bloss ich) einsam geworden. Auch du und Gritli seid bloss noch verheiratet. Nicht das Leben hat aufgehört, aber unser Leben. Mehr als Gritlis Kreuz = Brief an mich - stärker konnte es für mich und Gritli nicht gesagt werden. ...

Und vergiss bei allem nicht. Was für mich ein Ablaufen der Uhr ist, ist für Edith das einzige Leben was sie noch hat. Sie nimmt an der Enstehung des neuen Gesetzes teil. Dafür hat sie offne Augen. Für sonst nichts. Für nichts, was mit jenen "Quellen" meiner Beteiligung daran etwas zu tun hat. Aber für meine Beteiligung selber. Was sollte aus ihr werden, wenns das nicht mehr wäre. Und ich gezwungen wäre, eine kühle bonzenhafte Tätigkeit vor Studenten oder meintwegen vor deinen Arbeitern (die mir doch genau so fremd sind wie Studenten) auszuüben In dem jüdischen Topf lasse ich mich noch gern zerstampfen, in dem "deutschen" wirklich nur mit äusserstem Widerwillen. Dieses "gern" spürt sie, und ..[?] das Beste an ihrem wahrhaftig nicht gu[?]ten Leben.

13.II.21.
Liebes Gritli....
Dass du mich zum Christentum bekehren wolltest, habe ich gar nicht angenommen. Du hast nur eine Trennung zwischen uns aussprechen wollen. Dagegen kann ich gar nichts sagen. Nur die dogmatische Phrase habe ich abgelehnt. Uns trennt nicht Juden= und Christentum, sondern der Tod. Nenn ihn meinetwegen Leben. Aber dass das eine sehr andre Art Leben ist als was wir früher so nannten, das könnte dir daran aufgehen, dass das was du jetzt Leben nennst, uns (alle, nicht bloss dich und mich, sondern jeden von jedem) scheidet; das was wir früher Leben nannten, verband uns.... Infolgedessen hörst du sogar auf, zu verstehen, was in andern vorgeht. Oder möchtest dir einreden, es läge daran, dass sie eine andre Theologie hätten.


Dass ich deine Freude nicht mitfühlen kann, ist mir doch selber schrecklich genug. Es ist aber nur ein Stück davon, dass ich überhaupt nichts mehr mitfühlen kann. Es ist zu Ende mit mir, mit Mit= und allen Gefühlen. Zum guten Onkel wirds noch langen.

Ich sehe jetzt darin dass ihr herkommt, wovor ich mich früher fürchtete, nun eine Rettung. Wenn überhaupt ein neues Sozusagenleben zwischen uns entstehen soll, so brauchts dazu das Zusammensein. Irgend eine Form wird da schon entstehen. Ich lasse selber nichts fahren, begehe auch im Detail keine "Selbstmorde". Solange man leiblich lebt, muss ja irgend etwas wie Leben weitergehn. Ich kann mich nur nicht auf etwas freuen, wovon ich nur das weiss, dass es ganz anders sein wird als alles woran ich bisher hing. Ich kanns eben nur hinnehmen. Das "Lächeln Gottes" lässt sich nicht komman-dieren. Dein Franz.

20.III.21
Mein liebes Gritli, ich war ja selber traurig, dass mir die Absicht, noch am Donnerstag Morgen herüber zu euch zu gehen, vereitelt wurde; aber ich nahm es eben hin, wie ich jetzt all so etwas hinnehme, - als etwas was offenbar so sein muss; selbst telefonieren ging ja nicht, - weil es plötzlich "so eilig" war. Ich schrieb dir das ja schon aus der Bahn. Wir wollen uns aber nicht plagen. Es ist doch etwas an dem Zusammensein, und wir haben es nötig und wollen es nehmen, soviel es uns noch beschieden ist. Am Montag Abend sind wir sicher wieder da.

Helene rief an. Sie spürt seit neustem keine Bewegungen mehr und Rudi hört keine Herztöne. Wir sind sehr in Sorge. Bleib gut. Ich habe dich lieb.

22.III.21
... Mutter und Edith sind in einem Kirchenkonzert, ich mochte nicht mitgehen. Ich vertrage keine Musik mehr; ich bin in den ganzen Tagen hier noch keinmal darauf gekommen, den Apparat loszulassen

...Du willst Genaueres von Helene wissen? Sie ist in der Klinik. Der Arzt will die Entbindung beschleunigen, hofft es ohne operativen Eingriff durch sog. künstliche Wehen (mit einem Pulver oder so) herbeizuführen. Davon dass das Kind doch leben könnte, spricht keiner; es gilt für sicher. Mutter hat nur mit Helene selbst gesprochen am Telefon!

Du darfst für dich nichts fürchten. Wenn ich je sicher bin, dass es gut verläuft, dann bei dir und Magikeli.

Ich meine nicht, dass ich dir kalt schreibe. Nur aus diesem resignierten Gefühl, das mich nun einmal nicht verlässt. Ich gebe dir was da ist. Dass es ein Nichts ist, weiss ich selber. Aber dies Nichts ist nun einmal jetzt mein Inhalt. Du musst schon damit zufrieden sein, dass ich dir wenigstens den gebe. Lohnen tut er das Geben freilich nicht. Aber so wie du fühlst, dass im Zusammensein selber ein Trost ist, so ists auch im Sichschreiben. Nur ein Trost. Mehr ist auch ein Zusammensein nicht. Wenn es nicht geht, wie an jenem Morgen, wo wir Mittags wegfuhren, letzten Donnerstag, dann senke ich eben den Kopf und lasse die Hände fallen und sage zu mir: nun ja - und: so ist es jetzt denn. - Früher hätte ich da aufbegehrt, und gesagt: es darf icht sein. Und da wäre es nicht gewesen.

So begehrt jetzt nichts in mir auf, wenn deine Briefe ausbleiben, wie doch früher. Aber es ist ein Trost wenn sie kommen. Und mir, dir zu schreiben. Wir sind ja noch zusammen auf der Welt. Wir sehen noch das gleiche Licht. Auch wenn wirs nicht mehr in einander und durch einander sehen. Es ist doch noch die eine Sonne, die uns beiden scheint. Grade in diesen schönen Tagen. Ich denke an dich. Und an das Kleine. Dein Franz.

26.III.21
....Sie wissen von Goethe und Schiller doch nur, dass sie eine Anzahl Gedichte gemacht haben, die auf der Schule gelesen werden. So bleibt mir nichts, als so zu tun als ob ich nicht hier wäre und mich nach Kräften in "Arbeit" zu vergraben. Was ich ja nun wohl überhaupt für den Rest meines Lebens tun werde. So tun als ob ich nicht da wäre.

...Hans drängelt immer noch, ich solle über Schelling arbeiten. Meine Freunde sind komische Leute. Über das Hegelbuch, das geschrieben ist, zucken sie alle mitleidig die Achseln. Aber alle wünschen dringend ich soll nun ad infinitum weiter so Sachen schreiben, die sie (und mich) nichts angehn. Im Grunde ists doch nur das peinliche Gefühl, dass das Judentum eine lebendige Angelegenheit sein soll. Das muss aus der Welt geschafft werden, und wenn man zu dem Zweck auch alle schon praktisch und theoretisch gefällten Urteile über die "deutsche Universität" zurücknehmen müsste. Grade ich, ausgerechnet ich, der sich nie habilitieren wollte, grade ich soll mich jetzt in diesen Kessel werfen. Dann sollens mir Hans und Eugen erst mal vormachen. (Und selbst dann mache ichs ihnen noch nicht nach).

Ich wollte, der 28te [Rosenzweig's Hochzeitstag] wäre erst vorüber -Dein Franz

Ende April
...Ich lerne wie doll arabisch. Zum dritten Mal! Erst 1914/15, dann 16/17, und jetzt. Diesmal will ichs dann [?] aber nicht wieder einrosten lassen.Dein Franz.

30.IV.21
... Dass Eugen mittags hier war, hast du inzwischen schon von ihm selbst gehört. Nach Hamburg schreibe ich heute Abend. Eigentliche Lust habe ich ja nicht, aber ich glaube doch (oder deswegen) sicher, dass es was wird. Das Beherrschende ist auch hier das Gefühl kolossaler Wurstigkeit; irgendwie und irgendwo werde ich schon existieren.

Es waren hübsche Tage. Nobel hat wieder schön gesprochen, wenn auch nicht so wie das letzte Mal. Das ist ja immer so, dass man nach einem Höhepunkt sich nicht gleich wieder erreicht.

"Fräulein" ist heute abgegangen. Sie ist Edith zum Abschied um den Hals gefallen! Wir waren alle sehr angenehm erleichtert, als sie fort war. Auf Montag oder Dienstag hat sich Gerhard Scholem angemeldet.Dein Franz.

1.V.21
...Auch sonst allerlei interessante Leute, zuletzt war ich in einem grossen Duell mit einem Husserlianer - ich kenne Husserl jetzt vollständig, bloss von seinen Schülern, aber nicht deswegen erzähle ich es dir, sondern wegen der Versöhnung am Schluss, wir fielen uns nämlich beinahe in die Arme: der Mann ohne Namen! ...

Mich plagen aber solche Gespräche jetzt; ich rede etwas, was ich gar nicht mehr leben darf, wenn ich existieren will. Ich brauche ja all die Dinge, gegen die ich als Denker eifre: Haltung, Unempfindlichkeit, und Herrschaft über das Schicksal. Dein Franz.


11.V.21

... Ich habe Sehnsucht nach dir. Aber wie über einen Abgrund hinweg. Dein Franz.

No letters until July 3. 1921

22.VII.21.
Liebes Gritli,....Der Mund ist mir wie versiegelt, auch schriftlich. Es ist das Natürlichste von der Welt, das Beste von der Welt, was uns passieren konnte, das Erwünschte und Erbetete, und doch kann ich es noch nicht leben. Aber ich werde es lernen. Die Antwort höre ich doch jetzt manchmal auf meine täglichen Schreie.

Verzeih dies zu laute Wort. Mein Leben hat sich so herumgedreht. Und bleib in deiner Goldwolke. Es hat mich mehr ergriffen als ich sagen mochte, dass mein erstes Gefühl sich so völlig sichtbar bestätigte und dass ihr ohne, ja gegen euren "Willen" und ganz leicht und harmlos euch plötzlich in der "Zwangslage" seht, eurer Ehe das letzte fehlende Stück Form zu geben. Es ist gar nicht lächerlich und gar nicht widersinnig. Es hat seinen guten Sinn, diese drei oder vierfache Auseinanderverteilung des Sakraments über sieben Jahre! Euer Franz.

24.VII.21.
Liebes Gritli, wieder bis auf ein paar Nachmittagsstunden still zuhause. Gelernt, und zwischenhinein viel unser aller Verhältnisse bedacht, und versucht, mir die Reste von "zürnen und begehren", die noch in mir sind, abzugewöhnen.

5.VIII.21.
Liebes Gritli,ich bin also von Sonntag bis Donnerstag in Metzlersreuth [?] bei Bismarck (Fichtelgebirge) postlagernd, - damit du keine Abstinenzerscheinungen kriegst, wenn du mir mal deinen täglichen Brief nicht schicken kannst.

Ich gehe sehr ungern hin. Aber wohl nur, weil es überhaupt nichts mehr giebt was ich nicht sehr ngern tue (ausser Essen, Trinken und Schlafen). Also hat es nichts zu sagen....

Es graut mich vor Frankfurt. Ich habe es hier so viel besser, brauche keinen Menschen zu sehen, wenn ich nicht will und kann überhaupt einsiedlerisch leben. Allerdings geht das ja nur für eine Zeit wie jetzt, wo Mutter fort ist. Wenn sie da wäre, wäre es hier auch nicht zum Aushalten.

[Entwurf?] 6.VIII.21.
Liebes Gritli, ... dein Nichtschreibenkönnen hat tiefere Gründe als du meinst, auch mir gegenüber. Ich kann ja genau so wenig, ich tue es eben nur. Es ist eben kein Siegel mehr auf deinen Briefen, äusserlich wie innerlich; da schreibst du sie lieber gleich gar nicht. Dass du dabei mörderisch mit einem umspringst, ahnst du nicht. Ich sehe zu genau vor mir, wie es noch kommen wird und bin jeden Tag stundenlang vor Darandenkenmüssen unfähig irgendwas zu tun. Ein Brief ist dann immer eine Lösung der Krämpfe, man sieht, dass es noch nicht so weit ist und kann sich wieder am Augenblick halten, der immer erträglicher ist als die Zukunft sein kann.

Ich habe heute aufgeatmet, nach Tagen wieder, wo einer immer grauenvoller war als der andre. Endlich einmal ein ruhiges unverzerrtes Gefühl.

Du weisst eben nicht, dass man eine Last mittragen muss; es genügt dir, wenn der andre sie trägt. Dabei geschiehts nicht mehr um meinetwillen, dass ich sie noch weitertrage; ich weiss genau, dass es um deinetwillen ist, jetzt mehr als je. Was mich angeht - ich sehne den Augenblick herbei, wo ich sie ablegen könnte.

Ich schicke dir den Brief nicht. Es geht nicht. Vielleicht gebe ich ihn dir später einmal, damit du siehst, wie alles gekommen ist.
[The letter was sent only on Sept. 9, 1921]

15.VIII.21.
[Gritli's son was born - 17 years later I was born on the same date]

Lieber Eugen und liebes Gritli,
eben kommt Eugens Telegramm mit dem wirklich unerwarteten Jungen; ich hätte bis zuletzt auf ein Mädchen geschworen, aber die Jungen sind Mode, auch bei Kurt Ehrenberg soll einer angekommen sein. Dass er nach Hans, dem "Färber", heisst, macht mir Spass. Hoffentlich hat "Tante Clara" trotz der Eisenbahner durchkommen können; ich gratuliere ihr auch sehr zu dem Enkel.

Edith schläft grade, so kann ich es ihr jetzt nicht sagen. ....
.........
Ich lese Webers Antikes Judentum, das mir sehr gut gefällt. Seine Nüchternheit hat ihn vieles sehen lassen, was die andern mit ihrem Idealismus nicht gesehen haben. Er hat den ganz richtigen Begriff der Offenbarung, und macht ihn unter dem Namen "Bund" zum Grundbegriff seiner ganzen Darstellung. .......

Hoffentlich erholt sich Gritli bald. Euch beide grüsst herzlich Euer Franz.
Ich lege einen hübschen Artikel aus dem Berliner Tageblatt bei.

18.VIII.21.
Liebes Gritli, ....Erhol dich weiter gut. Dass es ein Junge ist und das Margrikeli vertagt ist, kommt mir immer noch komisch vor....


15.9.21.
Mein liebes liebes Herz ---

ja es wird gut sein, ich sehe auch fröhlich in diesen Winter. Auch hier ists seit gestern Mittag noch einmal Sommer geworden; ich sitze wieder draussen auf der Veranda. Eugen ist früh, während ich noch schlief nach Göttingen; ich werde ihn Mittags anrufen und ihm sagen, dass es dir besser geht. ........

Leb wohl, lass es dir wohl gehen.

Ich bin dein Franz.

15.9.21
Liebes Gritli, ich will doch noch einmal ein paar Worte über den Brief sagen, den ich dir geschickt habe [the letter from Aug. 6, sent on Sept.9]. Du siehst ja daraus, wie falsch es von Eugen ist, mich einfach mit dem Wort "hysterisch" ("als du noch hysterisch warst") abzutun. Ich wollte schon, es wäre so. Aber die "Hysterie" ist gar nicht Ursache, sie ist nur Folge. So war es hier, und der Brief muss dir das zeigen. Wenn man sich nicht mehr zu helfen weiss und musss es in sich verschliessen +), dann geht es eben nach innen, und das ist dann "Hysterie". Aber dass man sich nicht zu helfen weiss, das ist keine.

Früher (nämlich vor Helenes Ausfall) konnten wir freilich alles laufen lassen wie es von selber lief. Denn damals hatten wir die Gewissheit, dass jeder nur durch die andern und mit den andern lebte. Es gab gar keine Möglichkeit zum Alleinleben. Wenn man auch gegeneinander schwieg, so wusste man doch, dass man beieinander war; denn es gab gar kein andres Sein als beieinander. Seit jenen letzten Augusttagen vorigen Jahres ist das anders. Seitdem hat jeder sein eigenes Leben, auch der Grad seines Lebens ist davon abhängig, wie er sich in dieses sein eigenes Leben hineinlebt, nicht wie er mit den andern zusammenlebt. Du hast das Kind und die Entdeckung deiner Ehe. Eugen hat den Beruf entdeckt (und ist sehr erschrocken, dass Beruf kein Liebesverhältnis ist) und an Stelle der "Tochter" sieht er sich plötzlich mit einer - Mutter verheiratet. Ich habe Edith, und weiss (nach dem Säckinger Aufenthalt im Februar), dass mir niemand dabei helfen kann, weil mir - niemand dabei helfen darf [doppelt unterstr.]. Rudi hat sein entdecktes Lebenswerk vor sich und seine wiederentdeckte (ich möchte sagen: "nacheheliche") Erotik, auch beides Dinge, in die ihm niemand hineinreden kann, sondern denen man ihre Entwicklung bzw. (der Erotik) ihren Ablauf lassen muss. Hans war immer für sich.

Das Zusammenleben [doppelt unterstrichen] ist nun nichts mehr was von selber und notwenigerweise und nötigenfalls selbst malgré nous [trotz uns] geschieht, sondern es ist nun unser bewusstes Werk geworden. Wir müssen es "pflegen". Wir dürfen nicht vertrauen, dass es "doch einfach da ist". Das war einmal. Jetzt müssen wir vertrauen, dass es nötig ist. Dazu brauchen wir jetzt unsre Glaubenskraft. Denn das ist jetzt mit Augen nicht einzusehen. Die Augen sehen jetzt nur das Alleinleben. Nur das ist jetzt "da". So wie früher nur das Zusammenleben "da" war. Und man an das, dass man davon auch "selber", auch als alleiniger, einzelner lebte, "glauben" musste.

Also --- Dein Franz.

+) weil man "befreiende" Konsequenzen nicht ziehen will

26.9.21.
...Ich lebe sehr auseinandergezerrt in diesen Tagen, es ist jetzt noch nicht sicher, wo die Vorlesungen sein werden, .. Aber das ist nicht das Eigentliche. Sondern dass jeder Tag, den ich lebe ein Schritt am Abgrund des Schweigens entlang ist und dass ich hineinsinken muss, wenn du das Seil loslässest. Es ist so. Ich habe dir jene 7 Wochen lang [obviously from May 13 to July 3] vergebens ersparen wollen, es zu wissen. Nun weisst du es doch. Denk daran, ich bitte dich mit allem was in mir noch am Leben hängt.

Lass dich lieben! Dein Franz.

27.9.21.
Liebes Gritli, ...

Ich wünsche doch sehr dass du dich nicht abschrecken lässest und weiternährst. Eugen war neulich schon ganz aufgeregt. Ich glaube aber an die Ärzte wenn sie mit der Natur im Bunde sind. Was schadets wenn du dich dabei anstrengst. Und es wird ja sicher immer schöner, je älter das Kind wird. Bei so einem wie Trudchens, das schon ein richtiges kleines Menschlein ist, so eins wie die Christkindchen der Maler, muss es ganz herrlich sein; sie hats ja freilich vor der Reise absetzen müssen; sie hatte es länger genährt als die andern, weil sie traurig war, dass es ja wohl das letzte sein würde.

22.10.21...
Wir sollten jetzt alle unsre ganze Lebensenergie darauf verwenden, nicht künstlich dem Verhängnis, das uns uns jeden Tag weiterauseinanderleben lässt, rettungslos, entgegenzubocken, sondern das neue Leben, das jedem von uns als Einzelnem gelassen oder geschenkt ist (dies neue Leben, das freilich vom Lebensmittag nur gesehen Tod, aber für sich doch Leben, abendliches Leben ist - "am Abend schätzt man erst das Haus" Goethe, Faust) zu pflegen, nichts weiter. Wäre das nur leichter. Und fielen wir nicht alle wieder immer wieder ins künstliche Jungseinwollen zurück. Das Leben selber stellt eigentlich alle "Lebensaufgaben", man braucht gar keine von aussen zu suchen; Altwerden, Altsein, Aufwachen, Erwachsen, - das sind alles richtige und die einzigen richtigen Lebensaufgaben, die es giebt. Aber ich verfalle in die Vorlesung, die ich nach Weihnachten halten werde, die Wiss. vom Menschen.

No letters until December 16, 1921

23.12.21

.Liebes Gritli,

...Ich denke noch viel über mein Vorlesungsdebakel nach. Vielleicht werde ich schon im Sommer bei Epstein anfangen und zwar: "Die Jugendentwicklung grosser Männer" (Schiller, Goethe, Hegel, Friedrich d. Gr., Bismarck oder andre, die ich grade kenne), also auf das Pädagogische Biographologische und Jugendbeweglerische hin.

Ich habe auf der Fahrt das letzte Gedicht noch recht hübsch überarbeitet und ein neues Stück, etwas aus dem Abendgebet, das ich schon lange umstrichen hatte, sehr glücklich übersetzt. Vielleicht lege ichs noch bei.

Feiert schön und "seid gesund".



[24.XII.21.]Liebes Gritli,

....Ich war wieder fleissig. Der Anfang des Abendgebets, im Styl und wohl auch in der Zeit noch den Psalmen nahstehend, .....
Dann habe ich viel Ebner gelesen. Viel Schönes, aber doch etwas ungebildet, wirr, nicht sehr gründlich, wirklich "Fragmente", also mit dem * doch nicht zu vergleichen, auch abgesehn von der engeren Fassung des Stoffs. Nur eben viele einzelne Stellen, die gut im * stehen könnten - und meistens auch wirklich drin stehen.

Es ist eine aufregende Lektüre für mich, zu denken dass der gleichzeitig daran gesessen hat. Es ist ein intuitives, aber kein "erfahrenes" Buch (ich meine aktiv, nicht passiv erfahren). Grade diese Reife der Vielerfahrenheit ist doch ein Vorzug des *. Er ist sicher etwa 5 Jahre mindestens jünger als ich und hat nicht den Dusel meiner langen Lehrzeit hinter sich gehabt.

Morgen also 35! in dem Alter sind Rafael und Mozart schon gestorben! Ich wollte gern alle meine noch zukünftigen Geisteskinder geben für ein leibliches. [FRs son, born Sept.8, 1922, was called "Rafael"]. Das ist freilich kein grosser Einsatz, und deshalb wohl nicht das rechte Gelübde. In Wahrheit lautet es wohl anders, und da kann ichs nicht geloben.Dein Franz.

[25.XII.21.]
Liebes Gritli,
das war nun ein Geburtstag ganz ohne ein Wort von dir oder von Eugen. Vielleicht liegt ihr beide?

Sonst war es aber hübsch. Ich habe schöne Sachen gekriegt, Kuchen, Zigarren, den Wang = lun, Salins'[?] griechische Kunst, den Hirschschen Pentateuch, 3 lateinische Bände Spinoza, La Bruyère Caractères, eine Vergrösserung von Onkel Adams Bild, die neue kurhessische Geschichte.....

Den Ebner lese ich mit bleibender Spannung weiter. Die Ähnlichkeit mit dem * geht auch dahin, wie er seine schönen Sachen sagt: immer etwas verdutzend, grade da wo man sich fürchtet, jetzt würde es arg abstrakt.

Edith ist auch erkältet....Schreib mir ein Wort, wie es euch geht.Dein Franz.

26.XII.21.
Liebes Gritli,heut habe ich nicht gedichtet, Edith hatte es verboten. Sie hatte wahrscheinlich recht, dass mir das Letzte gestern Abend, (nicht das vom Vormittag) überkünstelt war. Morgen reise ich also (Rabbiner Dr.Jacob, Dortmund, Arndtstrasse 73).
[Benno Jacob, 1862-1945, Rabbiner in Goettingen und Dortmund, einer der bedeutendsten juedischen Bibelwissenschaftler seiner Zeit. Auf Anregung Rosenzweigs schrieb er Kommentare zum 1. und 2. Mosebuch.]

[It is through Benno Jacob and his interpretation of Genesis,
that I really understood the revolutionary understanding of the Bible
in Buber-Rosenzweig's Translation.]

...Der Ebner ist doch auch erfahrener, als ich anfangs dachte. Z.B. in Sachen Wahnsinn. Die Doubletten zum * finden sich alle paar Zeilen. Er hat doch nun nicht von Eugen gestohlen. Woher hat ers?

[28.XII.21.]...
Hier ist schlechtes Wetter aber ein nettes Haus, eine reizende Frau und nette Kinder und er der komischste Kindskopp alte Junggeselle und doch Ehemann, den man sich denken kann. ... Und die Sachen, die ich von ihm nun gesehen habe, sind wieder glänzend, und nachdem ich nun gemerkt habe was für ein dummer Junge in diesem alten Schulmeister steckt, verstehe ich auch, wie es überhaupt möglich ist, dass grade er so schöne Sachen schreibt.

Ich will mich noch etwas ausruhen. Jacob muss grade einen beerdigen. Dein Franz.

31.XII.21.
Liebes Gritli,

es ist eine furchtbar zermürbende Zeit diesmal mit Mutter. Sie lässt sich hemmungslos an uns aus. Edith, die schon vorher etwas nervös war und nun durch den Streik leider nicht nach Berlin kann, kommt ganz herunter. Man kann kein vernünftiges Wort mehr mit ihr reden; immer nur sie, sie und nochmal sie. Meinst du, ich hätte ihr von Münster erzählen können? Statt dessen, wie ich anfangen wollte, hat sie mir (zum dritten Mal) erzählt, die Schwägerin von Jacob würde von ihr unterstützt, und nun dazu: seine Schwiegermutter hätte es sich zur Ehre gerechnet mit meiner Grossmutter verkehren zu dürfen (was vermutlich nach allem was ich von meinen Grosseltern und ihrer durchaus kleinbürgerlichen Stellung hier weiss, eher umgekehrt sein wird, denn jene Schwiegermutter war eine Frau Dr., was ja damals unter Juden noch was Besonderes war, und ausserdem zugegebenermassen auch eine nette Frau). Dazu die schreckliche Lügerei und dann immer wieder Schabbes, Schabbes, Schabbes. - Ich schreibe im Schlafzimmer, Edith hat sich schon gelegt, damit niemand sie mehr holen kann.

...So wird man wie zerrieben. Ich kann dir auch jetzt nicht recht schreiben.

Von Scholem hatte ich eine scharfe Ablehnung meiner Häuslichen Feier.

Für Mutter wäre ihr bestgehasster Schabbes wirklich die heilsamste Erziehung gewesen, sich wenigstens einmal die Woche zusammenzunehmen. Denn ihre Hysterie ist so ungebändigt nur, weil sie nie ein Gesetz über sich gespürt hat. Dein Franz.

Januar 1922

1.I.22.
Liebes Gritli, ... gestern Abend gabs noch eine grauenhafte Szene mit Mutter, ich fand sie bei den Vorbereitungen zu ihrem in der Nacht erfolgen sollenden Selbstmord, (Briefeverbrennen etc.) Heut ist sie etwas aufgeweicht und wieder ein bischen auf Zukunft eingestellt. ...

Das neue Datum macht mir diesmal überhaupt keinen Eindruck mehr; ich bin etwas aus der christlichen Zeitrechnung heraus, in die ich durch den Krieg noch sehr hereingeraten war, weil man ja da immer dachte: was wird nun neunzehnhundertsoundsovielzehn bringen? Diesmal stecke ich nur noch im jüdischen Jahr drin. ....

Wie geht es euch? Ich denke viel an Hansli. Dein Franz.

2.I.22
.Liebes Gritli,
Edith ist heut früh fort. Mutter ist wie stets nach Stürmen relativ beruhigt und geniessbar, sogar sehr geniessbar. ...Morgen ist Buber hier und hält einen Vortrag, auf der Durchreise nach Berlin. Ich bin ganz zufrieden damit, denn so erübrigt sich wohl meine Reise zu ihm am Sonntag, was bei den schlechten Verbindungen jetzt doch kein Vergnügen wäre.

Die Ferien sind arg rasch herum, ohne dass ich sie recht genossen habe. Doch euch gehts noch schlimmer. ..Wo war nur die Grippe früher? das ist doch nun die 3te oder 4te Welle der Epidemie.

4.I.22
Liebes Gritli,
es war sehr schön mit Buber auch gestern Abend noch. Der Vortrag eindrucksvoll, doch auch sehr charakteristisch in seinen Schwächen. Die theoretische Unzulänglichkeit des Zionismus und die Richtigkeit meiner ... Theorie ist mir nie so deutlich geworden.

5.I.22.
Liebes Gritli,...Deine Lehrhaussachen habe ich schon wie das vorige Mal erledigt. Dich in die Ermässigten einzureihen, verbot mir meine zu genaue Kenntnis von Eugens Gehalt. Die Bubersche Übung habe ich auch für dich belegt; wenn du nicht kannst, kann ich es ja noch nachträglich ändern, das ist (wegen der Fördererkarte) praktischer als nachträglich zu belegen. Ich glaube nämlich, du wirst sie mitmachen wollen, weil du dich ja in ihn verlieben wirst. (Soviel Hebräisch kannst du ja). Also du hast vorläufig:

6.I.22.
Liebes Gritli, mit Mutter ist es doch gar nicht recht....

Am 22. Januar 1922 starb sehr ueberraschend Rabbiner Nobel. Sein Tod erschuetterte Rosenzweig tief.
Im selben Monat stellte seine Frau Edith fest, dass sie schwanger war.
Der Sohn Rafael wurde in der Nacht vom 7
. auf 8 . Sept. geboren. Dazu Briefe und Tagebuecher S. 822f.
Im Januar 1922 zeigten sich bei Rosenzweig die ersten Symptome seiner Krankheit, einer Virusinfektion des Rueckenmarks (amyotrophe Lateralsklerose), die schon bald als unheilbar diagnostiziert wurde und innerhalb kurzer Zeit zur Laehnung des gesamten Koerpers fuerte.

Dein Franz.

Sommer 1922

5.VI.[22.]
Liebes Gritli, fünf Monate ist es her, dass ich dir zuletzt schrieb. Dazwischen ist allerlei passiert.

Gestern war ein besuchsloser Tag, ich war aber totmüde, so dass ich den einzigen Besuch, der kam, Frau Nobel, die nach jedem Satz den ich sagte, "wie?" fragte, kaum aushalten konnte. ...

Das Schreiben strengt mich an. Dein Franz.

7.VI.22.
Liebes Gritli,
dass für Helene der August 20 kein Datum ist - das ist es ja eben. Das Wesen des damals Geschehenen ist ja eben dies, dass Helene es nicht als Ereignis empfand. Es sollte eben nichts geschehen sein. ...

Der Frühling macht mir doch keine Schmerzen, und das ist der Unterschied. Ich bin froh, dass die Erde weiter schön ist, und dass sie bleiben wird. Ich meine ich hätte es noch nie so genossen wie jetzt abends vom Fenster aus nach Nordwesten, - und ohne jede Bitterkeit. Der eigne Tod ist ganz was andres als der des Nächsten - das zeigt sich auch darin. Und was du nicht bitten darfst - ich darf es: Bleibe bei mir.Dein Franz.

8.VI.22
Liebes Gritli, ich schreibe dir im Bett - statt Sonnenbad, das ich mir schenke, weil ich Kopfweh habe. Ich wollte, ich könnte auch die Stunde heut Abend sein lassen. Am Dienstag? nun: wieder eine Woche schlechter, allemal zwischen zwei Wochen eine Kunstpause. Es geht eben grade mit der Sprache rapide bergab. Auch die Augenmuskeln funktionieren nur noch auf besonderes Verlangen; wenn ich den Kopf rumdrehe, kommen sie erst nach Sekunden nach. Und ich soll Edith einweihen? Das ist eine voraugustliche Idee. Seit damals geht das nicht mehr. Bedenk bitte, dass meine Ehe keine Spur besser ist als Rudis, mit dem einen Unterschied dass ich weder mir noch meiner Frau noch sonstjemand was darüber vormache (was ja freilich ein beträchtlicher Unterschied ist, aber an dem Zustand nichts ändert).

Trudchen schrieb mir neulich dasselbe wie du. Ich habe es tagelang mir nochmal durch den Kopf gehn lassen, ehe ich ihr schrieb dass es nicht geht. Weisst du warum es nicht geht?? Weil ich ihr alles sagen könnte und sie würde - nichts hören. Und deshalb sage ich ihr lieber nichts. Das ist ehrlicher vor mir selber. Auch Ediths Schicksal ist eben an jenem Augustende von Helene zerbrochen worden; such einmal hier meine Briefe von damals heraus, ich bin sicher: es stand schon damals drin. Sie hat wahrhaftig "nicht gewusst was sie tat".

[I think , this means, that when Helene refused to belong to the "WE" of the Five, there was no chance for the remainders: Rudi, Gritli, Franz, Eugen, moreover, there was no chance for Franz to ever find himself in a fulfilling twosomeness]

 

[Sommer ? 1922] Freitag vor Abend
Liebes Gritli,
nur in Eile, damit du die beiden Einlagen kriegst; ich hatte den ganzen Tag noch am Programm zu machen etc. Ich will noch Trudchen schreiben, sie soll vor Mutter kommen; dann bist du entlastet (oder hoffentlich nur entlastbar), und Edith kann noch etwas fortbleiben.

Dazwischen auch noch die Wohnungssache. Clausings wollen nur einen Mieter mit Dringlichkeitskarte. Vielleicht wird es anders wenn ihr mit ihm redet.

Das weisse Papier fremdet mich. Selbst um dir schreiben zu können, brauchte ich dich jetzt selber. So hülflos ist meine Liebe jetzt geworden, es ist ja nur ein Symbol dafür. Ich sitze unbeweglich und alle Bewegung ist bei dir. Doch ists fast schon ein Symbol für unser ganzes Leben miteinander, mindestens für den Anfang, damals - Ich möchte dir noch viel schreiben, aber es ist nicht recht jetzt in das traurige Haus, in das du doch, solange du da bist, hineingehörst. Ich kann nicht sagen: ich bin bei dir. Ich bin ja eben bewegungslos. Also: du bist bei mir. Dein Franz

[Sommer ? 1922]

Liebes Gritli, (ganz erholte Sabbatabendschriftzüge!), wir schicken dir nur die Briefe nach. - Ich hatte eben einen von Edith, der mich traurig machte.


[Herbst ? 1922]
Dies ist der letzte erhaltene Brief an Margrit Rosenstock, den Rosenzweig noch eigenhaendig schrieb. Alle nachfolgenden Briefe sind mit einer Schreibmschine, die auf Rosenzweigs zunehmende Behinderung besonders eingerichtet war, geschrieben und von Edith Rosenzweig, teilweise auch von Margrit Rosenstock, korrigiert und vervollstaendigt worden.

Liebes Gritli, ich lege dir zwei Briefe bei. Aber noch etwas: ich habe doch sehr den Eindruck als ob Edith noch ein paar Tage Ruhe unter freundschaftlicher Polizeiaufsicht nottäten. Und sie selber meint es auch. So bitten wir dich zu uns zu ziehen. Du kriegst, wenn dir das "zweitbeste Bett" zu hart ist, Ediths jetziges, da es Edith ja nichts macht. - Vielleicht oder wahrscheinlich wirst du schon Dienstag wieder zurückkönnen und die Böden wachsen oder was es war. Schwester Therese wird dich massieren. Ich werde dich lieben. Dein Franz.

Kassel, d. 31.8.22, von Trudchen, FRs Cousine (Gertrud Oppenheim)

Liebes Gritli,.....Während ich für Edith die Hoffnung nicht aufgeben kann, daß sie seines Geistes noch einen Hauch verspüren wird. Wenn es nun näher rückt, daß sie das Kind bekommt – sollte ihnen nicht an einem Tag ein im Tiefsten gemeinsamer Augenblick werden? Einer, der genug wäre für die Zeit ihrer Ehe und dann für Edith ihr Leben lang? Ich weiß nicht, ob es meine ... [?] Mutterempfindungen sind, die mich in diesem Punkt so gläubig machen – ich kann’s nicht lassen, hier mit aller Kraft zu wünschen was fast verloren scheint.

1923

[1923?] An Gritli
...Apropos öffentliche Meinung: die neueste jüdische Literaturgeschichte, eine grässliche Literatenmache, die also grossen Erfolg haben wird, schliesst mit folgendem monumentalen Satz: Emil Bernhard, ein Meister wohlgesetzter Rede, und Franz Rosenzweig, ein fanatisch Aufgewühlter, virtuoser Reimmechaniker dazu, dichten, jeder auf seine Weise, Jehuda Halevi nach und sind, wie alle Verkünder jüdischer Geistigkeit in fremden Zungen, geborene Apologeten. Sie glauben an die gärende Riesenkraft, an die Auferstehung der jüdischen Religion
Da habe ichs. Im Literaturverzeichnis ist übrigens der Stern genannt. Aber dies "O, jeder in seiner Art, sie ergänzen einander" ist doch herrlich! Erzberger und Tillesen - sie ergänzen einander, denn ohne Erzberger wäre Tillesen kein Mörder und ohne Tillesen Erzberger nicht tot. ...


1924

12.II.24 An Eugen Rosenstock
...
Nun kann ich, solange ich es auch, zuletzt noch durch die lange Kochiade, hinauszuschieben suchte, nicht mehr daran vorbei, auf das andre in deinem Brief vom Januar einzugehen. Grade heut morgen kam ein Brief von Gritli, wo ziemlich dasselbe drinsteht. Der macht mir also das Schreiben nicht schwerer, aber auch nicht leichter.Die Todesprofezeiungen vom Herbst 1920 hatten doch einen ganz bestimmten Anlass und ein ganz bestimmtes Ziel. Auf das sind sie wörtlich eingetroffen. Das würde wohl heut keiner mehr von uns allen leugnen, auch Rudi und Helene selber nicht. Dass nun der Profet das was er metaforisch sagt, selber unmetaforisch darstellen muss, ist ja normal. Das ist das Wesen des Zeichens. Freilich auch das tote Kind vom Februar 21
[im Maerz 1921 hatte Helene Ehrenberg eine Fehlgeburt] war ein solches Zeichen. Aber ein Zeichen ist keine Folge. Ein Zeichen ist wirklich nur ein Zeichen. Meine Krankheit ist erst ein volles Jahr später verhängt. Also gar nicht in ursächlichem Zusammenhang mit meinen Profezeiungen. Bei denen war ich doch ganz passiv, wirklich wie ein Profet. - ... Dass du die Hintergrundswahrheit siehst, ist nicht zu verlangen; die sieht man immer nur selber. Aber die Vordergrundswahrheit müsstest du und müsste Gritli sehen und ihr dürftet nicht versuchen, sie euch durch die Fiktion einer Aktivität meinerseits zu verhüllen. Ich habe niemals einen Schritt weg von irgend jemandem getan. Wie sollte ich denn dazu kommen. Mein Anteil ist nur meine Krankheit. Freilich ein reichlicher Anteil, aber doch ein ganz unaktiver. Da hat Gritli eben eines Tages dann "nicht mehr gekonnt". Nicht mehr schreiben gekonnt wenn sie weg war, nicht mehr sprechen gekonnt wenn sie da war, (ich habe bisweilen wochenlang noch nicht mal ihren Aufenthaltsort gewusst, weil sie selbst überhaupt nicht mehr sprach), nicht mehr fragen gekonnt (so radikal war dies Desinteressement, dass sie z.B. die "18 Hymnen und Gedichte, usw.", die am 1.1.23 zum Verleger gingen, vollständig kannte - sie fielen eben noch in ihre Zeit - aber von den "60 Hymnen und Gedichten usw." die am 1.7. abgingen, nichts mehr).
[Ende 1922 hatte Rosenzweig mit der Ueersetzung undkommentierung von Hymnen des Jehuda Halevi begonnen. 1924 erschienen die ersten 60 Hymnen als Buch, In einer zweiten Auflage, die erst 1927 veroeffentlicht wurde, erweitere Rosenzweig die Sammlung um weitere 35 Gedichte, die er 1925 uebersetzt hatte.]
Das sind an sich Kleinigkeiten, die ich noch vermehren könnte, wenn es zur Gedächtnishülfe nicht genügt, denn nur dazu sind sie da. Schliesslich doch noch das Symptom der Symptome: dass dies Jahr des Desinteressements in Wahrheit ja nur ein halbes Jahr war.
Die andre Hälfte hat sich Gritli erholen müssen. Hier kann doch wirklich ich nicht aktiv gewesen sein. Sie hat das sicher noch nie so gesehn. Denn es waren natürlich im Vordergrund jedesmal andre besondere Gründe. Wie ich auch deine Frankfurter Pläne in diesem Jahr immer mit dem Wissen begleitet habe, dass nichts daraus werden würde; obwohl ihre Grundlagen richtig waren und ihr sicher wieder herkommen werdet, aber - später.

Ihr werdet doch hoffentlich aus diesen einmal anzuführenden Einzelheiten nicht euch einen beleidigten Franz konstruieren. Ich habe sie wirklich nur angeführt, um meine Passivität zu zeigen. Aber damit meine ich warhhaftig nicht, dass Aktivität auf Gritlis Seite vorläge. Eher zu wenig. Ich nehme das "Nichtkönnen" ganz ernst. Natürlich weiss ich, dass man es auch psychologisch nehmen könnte und dass das in diesem meinem Fall ja besonders nah läge; denn ein Vergnügen ist der Umgang mit mir sicher nicht mehr; das weiss ich selbst genau so gut wie andre Leute. Wenn ich sage, dass ich ihr Versagen ganz ernst nehme, so meine ich damit, dass ich unbeschadet dieser Vordergrundsgründe, die mich eben weiter nicht interessieren, mich frage warum diese Vordergrundsgründe über sie Macht gewinnen durften. Darauf habe ich die Hintergrundsantwort für mich freilich ganz sicher, - aber für sie? das ist mir rätselhaft, wie allerdings wohl immer das was dem andern in dieser Schicht zustösst. Das ist die eigentliche Trennung, wenn man nicht mehr zusammen in die Hölle oder den Himmel zu kommen erwarten darf. Dass ich bei allem Begreifen, dass mich dies letzte auch noch treffen musste und dass bei mir keine einschränkende Bedingung wie doch bei Hiob sogar statthat, auf die ich Esel im ersten Jahr meiner Krankheit noch rechnete, sondern dass mir wirklich alles genommen wird, nicht bloss der Weg vom Wunsch zur Wirklichkeit, sondern auch der Wunsch selbst, - dass ich mich bei aller verzweifelten Einsicht, dass dies zu meinem Heil ist, gegen dies mein Heil eben so verzweifelt sträube, das siehst du ja schon daran, dass ich, als mir allmählich - denn anfangs mochte ich es natürlich nicht glauben - die Wirklichkeit dieses Unglaublichsten unbezweifelbar wurde, nicht radikal gewesen bin, sondern es gemacht habe wie immer in dieser Krankheit: genommen was der andre mir nun noch geben konnte, wirklich in diesem Fall nicht bloss um des andern willen (wie ich etwa Rudi das befriedigende Bewusstsein verschaffe, mich besucht zu haben, wenn er nach einjährigem Verschollensein zur Essenszeit ohne vorherige Anmeldung anrückt, zitternd vor Angst, dass die Chose lang dauern könnte) sondern in diesem Fall wirklich auch um meiner selbst willen. Ich verzichte auf den Schein von Selbsttätigkeit, den ich mir dadurch verschaffen könnte, dass ich die paar Fäden zu denen meine Kraft noch etwa langen würde aus dem reissenden Strick an dem ich hänge selber noch zerrisse. Ich nehme gar nichts "auf meinen Willen". In meinen W i l l e n nicht. In meine Liebe ja, in meinen Willen nicht.

Du gibst diesen Brief ja Gritli. Wenn nicht - aber warum nicht -, so schreib mir, damit ich Gritli dann extra antworte, und dann natürlich nichts von dem, was in diesem Brief steht, - einmal und nicht wieder.

Dein f

25.II.24.
Lieber Eugen, ehe mein Schnupfen ausgebrochen ist, muss ich dir doch noch antworten. Denn das was du schreibst, trifft auf das Geschehene gar nicht zu, grade weil es alles auf schon früher Geschehenes vollkommen zutrifft. Das weiss ich gewiss und habe es lang anerkannt. Das wäre nichts Neues und Entsetzliches. Das wäre gewiss der Himmel noch über der Erde, wie er es ja auch nach 1920 war, von welchem Datum du recht redest. Was 1923 geschehen ist, ist etwas ganz andres, etwas, was wirklich den Himmel verschlossen hat, von dem du sprichst. Denn eine Ewigkeit, die aufhört, ist nie eine gewesen. Männerfreundschaften werden wohl immer unter der Klausel rebus sic stantibus [bei diesem Stand der Dinge] geschlossen, deshalb entwertet mir Rudis jetziges Verhalten nichts Vergangenes. Aber hier ist es anders. Dass einer versagen konnte - ganz einerlei wer, nach dem Geschehenen muss ich es ja für möglich halten, dass im umgekehrten Fall auch ich es hätte sein können, es ist ja nun alles möglich - also dass einer versagen konnte, macht alles Vergangene zur Illusion. Die Liebe ist kein Wagen wie die Freundschaft, wo einer herausspringen kann und es bleibt immer noch der Wagen übrig; Paolo und Franceska fahren nicht auf einem Wagen; - wenigstens eine Liebe, über der einmal das Wort der Ewigkeit genannt ist. Mit diesem Wort bin ich früher immer sparsam gewesen, vielmehr ich habe es nie ausgegeben. Meine Liebe hat früher immer ihre Leidenschaft aus dem Gefühl ihrer Vergänglichkeit genährt; wenn sie vergangen war, war sie durch das Vergangensein nicht verleugnet. Nun habe ich das höchste Wort des Lebens auf einen Wechsel geschrieben, die Firma ist bankerott, ich kann ihn nicht einlösen.

Das ist also kein Gegenstand zu klugen und an sich richtigen Bemerkungen. Sondern ganz etwas andres. Ganz wacklig ist übrigens der Nagel an dem du deinen Brief aufhängst. Für meine Notstandsarbeiten erwarte ich selbst kein Interesse. Für den Cohen und den Cohn jetzt sowenig wie früher für den Hegel. Ich bin doch nicht verrückt. Aber der Jehuda Halevi ist eben, wie du sehen wirst, etwas ganz andres. Nichts "nach dem Stern", sondern vor dem Tod, mein direktestes persönlichstes Buch, was ich je gemacht habe. Das wird dir Gritli für die ersten 18 und ihren damaligen Eindruck bestätigen. Und damit erübrigt sich ja der objektive Beweis, den ich dir eben zu geben suchte. ....

Gritli dank für ihren Erzählbrief, den ich mir von Edith geben lassen habe, weil ich ahnte, dass er für mich bestimmt war; Edith hätte ihn mir von selber gar nicht gegeben, weil sie meinte, es stünde nichts Interessantes drin für mich!

[Edith dazu:] So stimmts nun nicht. Franz forderte den Brief von mir, als ich ihn grade gelesen hatte. Ich hätte ihm wohl aus dem Inhalt erzählt, wenn auch nicht gezeigt, denn ich habe stets eine Scheu, Briefe, die an mich gerichtet sind, zu zeigen, selbst Franz, in diesem Fall sicher zu Unrecht. Aber dass ein Brief an mich geschrieben, aber für Franz bestimmt war - auf diese komplizierte Geschichte wäre mein simples Gefühl nicht von selber gekommen. Entschuldige das böse Papier. Deine Edith.

9.III.24
Lieber Eugen, soll ich dir nochmal antworten? nachdem du mir standhaft dasselbe schreibst, was ich schon in meinem vorigen Brief abweisen musste. Ich kann dir nur wiederholen, dass du 1919 mit 1923 verwechselst. Für 1919, 16.Februar ff. [ Abschluss der Arbeit am "stern der Erloesung" im Elternhaus von Margrit Rosenstock in Saeckingen] sind wir absolut einig. Dein Kommentar zum Sternschluss ist einfach autentisch. So habe ich damals die beiden Worte gemeint. Wie erstens philologisch aus dem Zusammenhang hervorgeht, wo das Wort Leben als Gegensatz zu Heiligtum und Schau gebraucht wird, also Alltag und Wirken bedeutet, und zweitens biographisch aus der Tatsache, dass ich 14 Tage danach mit den energischsten Bemühungen um eine Stelle, in der ich mich in Kleingeld zu wechseln hatte, begann (die Redaktion des misen grünen Blättchens) [ Damals erwog Rosenzweig, ei der Allgemeinen Zeitung des Judentums mitzuarbeiten, die wegen Unrentabilitaet eingestellt oder in ein Publikationsorgan der grossen juedischen Verbaende umgewandelt werden sollte.], die dann Anfang 1920 zum Erfolg führte. Du aber schreibst, als hätte ich mir Haus und Beruf 1923 gegründet, nicht 1920. Damals habe ich erlebt, was du krampfhaft in das 1923 Geschehene [Gritli's failure to cope with the sick beloved] hineinzuinterpretieren versuchst.

Liebes Gritli, soweit hatte ich Sonntag abend geschrieben, und am Montag kam dein Brief, der es mir ja nun erspart, weiter auf Eugens Konstruktionen einzugehen. Weshalb umnebelt er sich eigentlich so gern? Der Sturz aus der Ewigkeit in die Zeit, der ja gewiss schmerzhaft ist - ich habe im Spätjahr 1920 vernehmlich genug au geschrieen - ist doch nimmermehr eine Verleugnung der Ewigkeit, im Gegenteil, wenn man ihn überlegt, ihre Bestätigung, sogar ihre einzig mögliche Bestätigung, denn wie sollte die Ewigkeit sich anders bestätigen als durch ihre Bewährung an der Zeit. Das war also wirklich nicht gemeint. Die Erde ist keine Widerlegung des Himmels, aber die Hölle ist es, weil sie zugleich eine Widerlegung der Erde ist. Sogar nur an der Erde kann sie ansetzen, den Himmel direkt kann sie nicht erreichen. Aber indem sie [die] Erde, die verwandelter Himmel ist, verleugnet, verleugnet sie auch den Himmel, der in diese Erde hinabgestürzt ist. Ich bin wirklich froh, dass du diese bequemen Konstruktionen nicht mitmachst, nach denen mein letztvergangenes Jahr ein Jahr des "Wirkens" gewesen sein müsste. ...

... Wenn ein Mensch tot ist, dann sagt er es schon selber, die andern können ihn wohl für tot erklären und demgemäss behandeln, aber mit diesem bürgerlichen Tod ist der physische durchaus nicht eingetreten. Ich verlocke gradezu zu solchen Toderklärungen, das ist ja klar, ich sehe eben von aussen viel töter aus als von innen. Da ich mich selber an sich wie jeder Mensch nur von innen sehe, muss ich mich fast mit Gewalt immer wieder erinnern wie ich wirke, damit ich keine unerfüllbaren Ansprüche stelle. Aber genug davon.

Das Wesentliche ist, dass es uns beiden hundeübel dabei ist, nicht bloss mir. Für mich ist ja alles, was 1917 -1922 war, etwas so biografisch Unzeitgemässes, etwas was, wenn Mutters lauter und Trudchens schweigender Protest dagegen heut durch dies Ende recht behalten sollten, und das Ganze eine blosse "angenehme Erinnerung" werden würde, mir nach 1913 so Unerlaubtes dass ich nur mit Scham darauf zurücksehen könnte. Eugen wird das nicht verstehen, aber du. Ich habe um einen zu hohen Einsatz gespielt, um mich jetzt mit Anstand zurückziehen zu können. Ganz so wirst du es nicht empfinden, aber doch ähnlich. Deshalb meine ich, wir halten uns, nachdem es einmal zur Aussprache gekommen ist (eines von Eugen erwähnten Worts von dir vor Jahresfrist erinnere ich mich nicht, nur eines, und natürlich noch gegenteiligen, vom Oktober 22, das herausgefordert zu haben, vielleicht frevelhaft von mir war) nicht mehr bei den Warumfragen auf. Komm nochmal hierher, nicht erst zum Packen, also nicht erst in der Woche vor Ostern, sondern schon eine Woche früher. Edith ist auch erholungsreif, sie beschimpft mich nachts, wenn sie nicht weiss was sie sagt, wie ein Rohrspatz. An der Arbeit wie du meintest liegt es nämlich nicht, ich habe erst angefangen, so jeden Augenblick mit dir zu arbeiten, als ich merkte, es wurde dir schwer, zu mir zu sprechen; ich wollte dir doch nicht das Zimmer verbieten. Also komm. Wenn wir so lange gekonnt und gemusst haben, wird es uns auch erlaubt sein, einmal zu wollen.

dein Franz.

Ist das schöne Hellas - Buch noch rechtzeitig angekommen? ich verdanke die Kenntnis Putzi, dem Griechen.

[Edith:] Liebes Gritli - Deine Edith

30.III.24.
Liebes Gritli, nein, ich sehe es doch genau so an wie du. Dein Ferngefühl hat dich nicht getäuscht. Auch schreiben möchte ich jetzt aus dem selben Grund wie du nicht. Eugen war hier wirklich ein schlechter Vermittler. Wir haben erst lange aneinander vorbei gesprochen, weil er nicht begriff, dass es mir wirklich nicht auf theoretische Erklärung des Geschehenen ankam, auf die vielleicht richtige seines jetztigen Briefs sowenig wie auf die sicher falsche seiner vorigen. Und ich begriff nicht die Wichtigkeit, die er sich selbst in dieser Sache beilegte. Er war ja gar nicht gemeint. Als ich es begriff, tat er mir sehr leid, aber zu einer Übertragung der ganzen Not auf ihn war und bin ich nicht fähig; das kommt mir künstlich und ertheoretisiert vor. Im Zusammenhang von dieser Überschätzung der Bedeutung seines psychologischen Briefs sprach er nun von "jetzt doch alles gut" und von den bevorstehenden "Festen" mit dir. Dies Wort lehnte ich ab, weil es meiner Stimmung sowenig entspricht wie deiner. Ich bin ganz zaghaft, - wie sollte ich anders sein, alle Erklärbarkeiten können das nicht ändern. Das Jahr Loch wird davon nicht ausgefüllt, für dich nicht und für mich nicht. Wieviel ist ganz einfach beschwiegen in der Zeit zwischen uns, wieviel wissen wir nicht von einander. Also meine Freude ist nur die "mit Zittern", keine andre.

Dein Kommen erst im Mai wird ja Edith sicher gut passen. Über Rafael wirst du dich wundern. Er ist liebenswürdiger und erziehungsbedürftiger als je. Ich werde mir einen Prügelaparat erfinden, weil es Edith nicht übers Herz bringt. Die Wahrheit des salomonischen Grundsatzes spüre ich jetzt tief, in beiden Hälften, dem Liebhaben und dem Züchtigen.

Ich schicke den Brief noch nach Freiburg.

dein f

2009_12_13 This is the end of the pages of my paper book "Briefe an Gritli".
For more letters written in 1924 , see the online edition

As to the letters of 1925,
see the last page of a sequence of excerpting and commenting
during the days and weeks before my 70th birthday 2008.

On May 13, 2010 , Mika heard for the first time about her greatgrandfather Franz Rosenzweig...


June 18, 2011,
I re-read part of these letters and my heart aches with pain.
If somebody needs an example of what DENIAL is,
and what the dire consequences of DENIAL are,
then my father-in-love must serve as a horrid example.

"Lost Will",
= denied feelings,
despised qualities,
overridden needs
and dwarfed greatness.

 

 

 

 


to former accidental closeup of my Past to next accidental closeup of my Past